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Der Bundesstaat Ceará hat mit einer Länge von fast 600 Kilometern eine der längsten Küstenlinien Brasiliens. Überlaufen sind die Strände im Nordosten des Landes aber nicht.

Foto: Corbis / Matthew Ashton

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Anreise: Flug zum Beispiel mit TAP Air Portugal von Wien via Lissabon nach Fortaleza.

Unterkunft: Unter anderem das Coliseum Hotel am Strand von Beberibe ab € 94,50 fürs DZ.

Info: Visit Brazil

Odualdo fährt Schlangenlinien um ein paar Strandtücher und lässt seinen Wagen einen Haken vorbei an den Strandfußballern schlagen. Für einen kurzen Moment scheint es so, als wollte er einen Schuss aus der Ferne mit der Motorhaube aufnehmen und den Ball in das aus zwei Stück Treibholz improvisierte Tor bugsieren: Er winkt, lacht, lenkt, ruft etwas, lenkt nochmal - und hat das Spielfeld im Nirgendwo der brasilianischen Küste mit seinem blauen Buggy schon wieder hinter sich gelassen.

Überraschend beschaulich

Die Freizeitfußballer am Strand bei Morro Branco im Nordosten Brasiliens kennen das schon. Denn wer an diesem Abschnitt der fast 600 Kilometer langen Küste gerade nicht kickt, arbeitet als Buggy-Fahrer - oder bis heute als Fischer. Viele der Dörfer sind überraschend beschaulich geblieben, obwohl sich der einst bettelarme Bundesstaat Ceará mittlerweile zu einem beliebten Badeurlaubsziel gemausert hat. Hinter den kilometerlangen Dünen oder am Fuße karger Felsen findet sich dennoch fast immer ein menschenleerer Strandabschnitt.

Fortaleza, Brasiliens fünftgrößte Stadt, die nur eine Autostunde von Morro Branco entfernt ist, beherbergt eines der insgesamt zwölf Fußballstadien der WM. Fans, die aus Europa hierherkommen, werden wohl kaum den Umweg über das 2.500 Kilometer südlicher gelegene Rio de Janeiro, sondern einen direkten Flug in den Norden nehmen. Dafür aber vielleicht ein wenig Zeit finden, von der Metropole mit zweieinhalb Millionen Einwohnern entweder zur Küste der aufgehenden oder zu jener der untergehenden Sonne aufzubrechen. So nennen sich die Strandabschnitte östlich und westlich von Fortaleza, wo mit ziemlicher Sicherheit immer ein paar Buggys herumbrausen.

Taxi für den Strand

Nur wenige Leute, die es sich leisten können, besitzen solche Fahrzeuge als persönliche Spaßmobile. Das sind die, die in Fortaleza leben und bloß am Wochenende in ihr Ferienhaus am Strand kommen. Die meisten der Gefährte aber kurven als Strandtaxi hin und her: um Fahrgäste auf die Schnelle direkt am Strand ins zehn Kilometer entfernte Barra do Sucatinga zu bringen, statt die dreifache Strecke um den Dünengürtel herum nehmen zu müssen.

Und manche nutzen diese flotten Cabrios mit der harten Federung und den durchaus unbequemen Sitzen nur, um ein oder zwei Stunden lang an den Wellen des Südatlantiks entlang und hinein in die Dünen zu brettern. Vermietet werden sie nach dem Taxi-Prinzip: mit Fahrer. Doch selbst die stecken oft genug im Dünensand fest. Wie oft das geschieht? Odualdo grinst: "An guten Tagen ein Mal. An schlechten Tag gar nicht, weil wir neben der Beach-Bar ohne Erfolg auf Passagiere gewartet haben."

Alter Käfer als Basis

Preiswert sind die Buggy-Expeditionen wie so vieles in Brasilien nicht. 50 Euro pro Stunde muss man einkalkulieren. Die Fahrer haben trotzdem genauso wenig davon wie die Besitzer der Gefährte. Das Geld fließt vor allem in Reparaturen. Odualdo ist beides zugleich, hat vor acht Jahren seinen derzeitigen Buggy gebraucht gekauft und umgerechnet 3000 Euro dafür hingeblättert. Gebaut wird dieses Modell auf Basis der Bodenplatte des alten VW-Käfers seit 1995 nicht mehr. "Das Fiberglas hält ganz gut", erzählt er, "aber die Metallteile müssen oft ausgetauscht werden, sie korrodieren leicht im Seewind und im seichten Wasser. Einmal im Jahr brauche ich einen neuen Motor: zu viel Sand, zu viel Salz."

Was den Reiz einer Buggyfahrt ausmache? Es sei der warme Fahrtwind und der Ausblick in alle Richtungen - nicht der Komfort in dieser Karre, denn der ist in fast allen Achterbahnwagen dieser Welt größer, sagt Odualdo. Vor allem aber liebt er "seine Straße", die es eigentlich gar nicht gibt - es ist eine Piste, die immer erst beim Fahren entsteht und auf der man nur mit diesen Dingern weiterkommt.

Lauter Boxenstopp

Odualdo dreht die Musik laut, lässt Samba-Klänge aus seinen basslastigen Boxen wummern, steuert eine kleine Strandbar an und beschallt sie vom Buggy aus, während er längst an einem der wackeligen Holztische sitzt. Es ist Zeit für einen Boxenstopp und für eine Stärkung: für frittierte Camarão - fangfrische Garnelen - mit einem Dip aus Kokosmilch, Koriander und Zwiebeln, Antarctica-Bier für die Passagiere und ein Cola für den Fahrer. Fischer haben die Krabben erst vor ein paar Stunden aus dem Atlantik gezogen, waren mit ihren flachen Jangada-Segelbooten draußen, hocken jetzt am Nebentisch und prosten sich mit Cachaça zu. Und weil einer so nett fragt, dreht Odualdo schnell eine Runde mit ihm im Buggy durch den Sand.

Hotels haben Seltenheitswert

Die Dörfer hier am Meer haben zwar mittlerweile Straßenanschluss in Richtung Hinterland, doch die meisten Leute verlassen ihre kleine Welt aus ein paar Häusern, dem Greißler und der Kapelle höchstens zu Fuß über den Strand bis zum nächsten Nachbarort oder segeln mit ihrer Jangada hinaus. Und abends sitzen sie zum Plaudern zusammen - oder vorm Fernseher. Die Kinder sehen mehr von der Welt als die Generation ihrer Eltern und Großeltern: Sie holt morgens der Schulbus ab.

Hotels haben an der Küste des Bundesstaates Ceará abseits von Fortaleza noch immer Seltenheitswert. Es gibt ein paar, aber viele sind es nicht - sogar erstaunlich wenige für einen so prachtvollen Strand. Brasilianer auf Urlaub im eigenen Land kommen hierher, Wochenendgäste aus der Großstadt, dazu ein paar Argentinier. Deutschsprachige Urlauber sind noch immer die große Ausnahme.

Nach der WM

Wird die Fußball-WM das ändern? Raimundo Tomas von der Assoziation der Buggy-Fahrer aus dem nächstgrößeren Ort Beberibe hofft das: "Wir sind knapp 90 Leute, organisieren uns, helfen einander, verlangen alle dieselben Preise. Wenige sind Angestellte, den meisten gehören die Wagen, die sie fahren. Wenn nach der WM mehr Urlauber unsere Strände entdecken, werden wir mehr, verdienen womöglich besser." Jetzt strahlt er. Die Vorstellung gefällt ihm.

Und warum Odualdo die Sonnenbrille mit dem Goldrand nie abnimmt? "Tut man nicht", sagt er, "ist total uncool." Und cool zu sein ist hier wichtig - vor allem, wenn man Beach-Buggy-Fahrer ist. "Die nehm ich höchstens zum Schlafengehen ab", sagt der schlaksige Typ, "nicht einmal nachts in der Bar, erst später im Bett." (Helge Sobik, Rondo, DER STANDARD, 23.5.2014)