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Der Argentinier Claudio Gabriel Nancufil (8, rechts) aus San Carlos de Bariloche wird "Schnee-Messi" genannt. Er hat bei Real Madrid vortrainiert. Auch der FC Barcelona ist dran.

Foto: reuters/Gianbirtone

Juan Pablo Meneses (45), Journalist und Autor aus Santiago de Chile, leitet die Gratistageszeitung "Hoyxhoy" aus dem Verlagshaus El Mercurio SAP. Meneses unterrichtet zudem an den Universitäten Chile und Adolfo Ibáñez. Seine Bücher erschienen in mehr als 20 Ländern, zuletzt 2013 "Niños futbolistas" (Blackie Books, 224 Seiten, 19 Euro).

STANDARD: Wie funktioniert das Geschäft mit den Fußballkindern?

Meneses: Lateinamerika und die Dritte Welt verkauft und Europa kauft. Es gibt verschiedene Geschäftsmuster. Große Vereine machen Fußballschulen in Brasilien auf. Talentjäger suchen junge Spieler und bringen sie nach Europa. Eine andere Möglichkeit sind Turniere oder Reality-Shows auf der Suche nach neuen Stars.

STANDARD: Wie geht es dann weiter?

Meneses: Der Agent kauft die Rechte an dieser Person, und das geht mit immenser Macht einher. Er ist fortan derjenige, der für das Kind entscheidet. Zum Beispiel, ob die Familie in eine andere Stadt oder ein anderes Land ziehen muss, weil ein Verein Interesse hat. Der Druck auf das Kind ist enorm, für alternative Berufswünsche ist kein Platz mehr. Und was mich am meisten beeindruckt hat, ist, dass die Kinder und die Familien sich nicht dagegen wehren, dass ihr Leben fremdbestimmt wird, sondern das sogar erwarten. Als Maradona zehn Jahre alt war und nach seinem Ziel gefragt wurde, sagte er, er wolle Fußballweltmeister werden.

Ich habe dieselbe Frage Kindern gestellt, und die Antworten waren: "Meiner Mama ein Haus kaufen, meinem Opa ein Taxi." Die Kinder wissen genau, dass es ihre Aufgabe ist, Geld zu verdienen, nicht Pokale. Aber der Fußball ist wie Magie, er verdeckt die Realität. Wenn wir zum Beispiel einen Achtjährigen zum Pfirsichpflücken nach Europa holen, mit dem Ziel, aus ihm den besten Pfirsichpflücker der Welt zu machen, wäre das Sklavenarbeit. Wenn wir das mit einem Fußballtalent machen, applaudieren alle.

STANDARD: Bekannt für diese Praxis wurde vor allem der FC Barcelona.

Meneses: Hier in Lateinamerika wollen alle Kinder in Barcelona oder Madrid spielen, was zum einen mit der Sprache zusammenhängt, zum anderen mit dem Marketing. Die spanischen Klubs sind durch die TV-Vermarktung viel beliebter. Und Barça ist die perfekteste Kindermühle. Pep Guardiola hat die internationalen Kinderturniere erfunden, bei denen es als Dankeschön auch noch ein Shirt mit dem Logo des Kinderhilfswerks Unicef gibt. Barcelona hat sich so eine riesige Talentdatenbank verschafft. Deutschland ist davon weit entfernt, aber da Guardiola jetzt beim FC Bayern ist, würde es mich nicht überraschen, wenn er das Modell kopiert.

STANDARD: Warum Kinder?

Meneses: Sie sind billig, man kann die Rechte für ein paar Hundert Dollar erstehen. Dann reichen ein paar lobende Artikel in der Presse, ein paar professionell geschnittene You-tube-Videos, und man kann innerhalb weniger Monate das Kind für ein paar Tausend Dollar an einen Klub weiterverkaufen und seinen Einsatz vervielfachen.

STANDARD: Es gibt Konventionen, die Kinderhandel und -arbeit verbieten. Auch die Fifa hat Transfers Minderjähriger international verboten. Wieso funktioniert das nicht?

Meneses: Weil es Wege gibt, das zu umgehen. Einer ist, dass die Eltern ein Arbeitsverhältnis eingehen. Das beste Beispiel dafür ist Messi. Sein Vater erhielt angeblich einen Vertrag als Buchhalter in Spanien. Er hat nie als solcher gearbeitet, es ging nur darum, Messi zum FC Barcelona zu holen. Es war ein Bombengeschäft. In gewisser Weise hat Messi die Schuld daran, dass das Geschäft mit Fußballkindern so explodiert ist. Es ist wie ein Fieber.

STANDARD: Die von Ihnen interviewten Fifa-Funktionäre scheinen genau zu wissen, wie das Geschäft funktioniert.

Meneses: Funktionäre, Manager und Trainer sind Teil des Geschäfts. Sie geben dir Tipps, welche Qualitäten so ein Junge mitbringen muss, dass man schnell kaufen und verkaufen muss und auf keinen Fall sentimental werden darf.

STANDARD: Wie viele Kinder bleiben dabei auf der Strecke?

Meneses: Die wenigsten schaffen es. Geschichten wie die des Chilenen Arturo Vidal sind selten, der in Deutschland und später bei Juventus Triumphe holte, während sein Vater wegen Drogenhandels und sein Bruder wegen eines Raubes im Gefängnis saßen. Mädchen, Drogen und die Schule sind laut Agenten die größten Gefahren. Und dass ihn ein gegnerischer Repräsentant abspenstig macht.

STANDARD: Was passiert mit denen, die es nicht schaffen?

Meneses: Der Fußball ist die Seifenoper der Männer, nur das Happy End zählt. Also die Neymars und Messis, die Millionäre werden. Niemand fragt nach den Gescheiterten, und das sind die meisten. Ich erzähle ihre Geschichten. Zum Beispiel die von einem argentinischen Jungen, der eine Talentshow gewinnt und bei Real Madrid vorspielen darf, sich dabei verletzt und wieder nach Hause geschickt wird. Heute verkauft er Erfrischungsgetränke in seinem Dorf. Diese Kinder stammen fast alle aus ärmlichen Verhältnissen und sind so billig, dass sie Wegwerfware sind und keine zweite Chance bekommen.

STANDARD: Sie schildern ja auch Fälle, in denen aus den angehenden Stars Bettler werden.

Meneses: Ja, das ist in Frankreich und Italien öfter passiert, vor allem mit gescheiterten Fußballkindern aus Afrika.

STANDARD: Gibt es Lösungen?

Meneses: Auf jeden Fall müsste es Schutzvorschriften geben für die Kinder, die es nicht schaffen. Ansonsten hoffe ich, dass meine Leser bei der nächsten Ankündigung eines Wunderkindes eine Sekunde innehalten und darüber nachdenken, ob das nun eine gute oder eine schlechte Nachricht ist.

STANDARD: Wer verliert das WM-Finale?

Meneses: Ich weiß es nicht. (Sandra Weiss, DER STANDARD, 21.5.2014)