Trotz strahlenden Sonnenscheins ist der Festsaal der TU Wien zum Bersten voll: Der EU-Abgeordnete Josef Weidenholzer hatte zur Diskussion über Geheimdienste und Big Data geladen; zahlreiche Besucher wollten hören, was Weidenholzer, Digital-Rights-Aktivistin Raegan MacDonald und Datenschützer Max Schrems zu sagen hatten. Eigentlicher Star der Veranstaltung war aber die Whistleblowerin Annie Machon, die 1996 den britischen Inlandsgeheimdienst MI5 verließ, um die Öffentlichkeit über Missstände und Skandale zu unterrichten.
Machon: Umstrittene Expertin
Kritiker werfen Machon vor, mit ihren Denkanstößen die Grenzen der Realität und des guten Geschmacks verlassen zu haben: So weist sie bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001 darauf hin, dass westliche Geheimdienste in der Vergangenheit oft unter falscher Flagge zugeschlagen hätten. Auch zu einer "Ermordung" von Prinzessin Diana hatte Machon in der Vergangenheit kontroverse Aussagen getätigt.
"Gesunde Paranoia"
Sie selbst nennt ihre Einstellung "gesunde Paranoia", gemeinhin gilt ihre Expertise als unbestritten: Das EU-Parlament befragte sie im Zuge des NSA-Untersuchungsausschusses, außerdem arbeitet Machon mit der UNO im Kampf gegen Drogenhandel.
"Nicht Spionage, sondern Totalitarismus"
Bei der Podiumsdiskussion weist Machon daraufhin, dass die Machenschaften von NSA und GCHQ "keine Spionage, sondern ein totalitäres System" wären. Besonders schlimm daran sei, dass große Konzerne mit den Geheimdiensten kooperierten und so ein undurchsichtiges Geflecht entsteht, das an unser aller Daten interessiert ist.
"Die Geheimdienste sind komplett außer Kontrolle", so Machon, "jede Woche legt die CIA dem US-Präsidenten eine Liste an Personen vor, die dann durch Drohnen getötet werden. Ohne Kontrolle des Parlaments."
Die Einkaufsliste verschlüsseln
Was tun? Machon plädiert dafür, sooft wie möglich Verschlüsselungssoftware zu benutzen, etwa Mails per PGP verschlüsseln und Tor sowie Tails zu verwenden. Es sei ein schönes "Fuck off" an die schnüffelnden Geheimdienste, wenn man auch triviale Informationen wie eine Einkaufsliste verschlüssle, so Machon.
Politik soll fördern
Auch Raegan MacDonald von der NGO Open Access lobt Verschlüsselungsmaßnahmen. Sie weist darauf hin, dass sich jeder bei sogenannten Crypto-Partys kostenlos über Möglichkeiten informieren kann.
"Wir haben in Brüssel eine Crypto-Party veranstaltet und Abgeordnete eingeladen", so MacDonald, "aber niemand kam." Sie fordert, dass die Politik hier fördern und mehr Interesse zeigen soll, "auch wenn sich seit den NSA-Enthüllungen einiges verbessert hat".
Weidenholzer will Verschlüsselung unnötig machen
Ganz so mag das der EU-Abgeordnete nicht im Raum stehen lassen: Zwar seien solche Werkzeuge nützlich und ihre Verwendung empfehlenswert, sagt Weidenholzer, allerdings sei es keine zufriedenstellende Lösung, auf diese Tools ausweichen zu müssen. "Das ist ein bisschen so, als ob ich mir eine Pistole zur Selbstverteidigung zulegen muss", so der Sozialdemokrat, "in einem idealen Staat brauche ich diese Waffe aber gar nicht."
Schrems: "NGO für Datenschutz aufbauen"
Er hofft, dass die Öffentlichkeit weiter Druck ausübt: Bei der Diskussion rund um ACTA habe man gesehen, welchen Effekt politisches Engagement haben könne. Auch Datenschützer Max Schrems, der übrigens noch immer nicht von Fragen zu Facebook genervt ist, fordert mehr Engagement im Kampf für Privatsphäre.
"Facebook ist nur eine Sache", es gebe viel mehr zu tun. Er kündigt an, sich bis Jahresende am Aufbau einer Datenschutz-NGO zu beteiligen. Als Vorbild nennt er den VKI, der für die Belange von Konsumenten kämpft.
Edward Snowden: "Ein Held"
Dass Edward Snowden als Held zu bezeichnen ist, steht für alle Diskutanten außer Frage. Ein Asyl in Europa sei allerdings realpolitisch zurzeit nicht machbar, so Weidenholzer, der eine umfassende parlamentarische Aufklärung der NSA-Affäre für wichtig hält. An expliziter Kritik zur Schweigemauer von Verteidigungsminister und Parteikollege Gerald Klug kann er sich dennoch nicht durchringen.
Machon: "Krieg gegen Whistleblower funktioniert nicht"
Auch Annie Machon sieht Snowden als Vorbild – und Hoffnungsträger: "Wir sehen, dass die Regierungen einen Krieg gegen Whistleblower führt. Die Mächtigen versuchen, Whistleblower zu unterdrücken und zu brechen – aber es funktioniert nicht." Dass die Bevölkerung über illegale Machenschaften von Institutionen informiert werde, sei ein Nonplusultra für die Demokratie, so Machon. Besonders im "goldenen Zeitalter der Überwachung." (Fabian Schmid, derStandard.at, 21.5.2014)