Sodom und Gomorra galt lange als biblische Grundlage für die Verteidigung von Homophobie.

Foto: John Martin - Sodom and Gomorrah - Dieses Werk ist gemeinfrei, weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist.

Es tut sich etwas beim Thema Homosexuellenrechte. Das betrifft Rückschritte genauso wie Fortschritte. Frankreich öffnete im Jahr 2013 die Ehe für gleichgeschlechtlich Liebende, und seitdem darf auch in Großbritannien geheiratet werden. Gleichzeitig ist gleichgeschlechtliche Liebe in Indien wieder illegal, in Uganda können Homosexuelle lebenslang ins Gefängnis kommen, und in Russland darf nicht einmal über das Thema gesprochen werden. Doch wo liegt der Ursprung der Abneigung gegen Homosexuelle in der Geschichte?

Das Wort "Homophobie" entstand erst in den späten 1960er-Jahren, doch die Angst und die Aversion vor homosexueller Liebe sind bereits seit tausenden Jahren tief verwurzelt. Waren Knabenliebe und Sex zwischen männlichen Sklaven und dem Herrn im alten Griechenland Teil des Alltags, wurde unter dem hebräischen König Joschija (640-609 v. Chr.) die Homosexualität als "unheilig" oder in anderen Übersetzungen als "Gräuel" bezeichnet.

Abgrenzung zu anderen Kulturen

In den "mosaischen Gesetzen" finden sich 36 Verbrechen, die mit dem Tod bestraft werden müssen - die Hälfte davon betrafen sexuelle Handlungen, auch Sex zwischen Männern. So findet sich im 3. Buch Mose der Vers: "Du sollst nicht beim Knaben liegen wie beim Weibe; denn es ist ein Gräuel."

Rictor Norton, Homosexuellenhistoriker, sieht im Handeln Joschijas einen möglichen Ursprung für Homophobie. Seiner Meinung nach wollte sich der König durch die Kriminalisierung der Homosexualität von den Assyrern und Ägyptern unterscheiden, die gleichgeschlechtliche Liebe duldeten. Politische Beobachter sehen im aktuellen Verhalten Russlands die gleiche politische Strategie. Durch die Verfolgung von Homosexualität soll das Land sein östliches Profil schärfen und sich vom westlichen Europa abgrenzen wollen.

Sodom und Gomorra als Grundlage

Für Birgit Heller, Theologin an der Universität Wien, liegt der Ursprung der Homophobie allerdings in dem Bild von Männlichkeit im Altertum. Der passive Part des schwulen Geschlechtsverkehrs sei als verweichlicht und verweiblicht angesehen worden. Ergo: Ein Mann wäre kein Mann mehr gewesen. Homophobie finde sich in den großen Religionen wie Christentum, Judentum und Islam.

Grundlage der religiösen Abneigung gegen Homosexuelle ist die Geschichte von Sodom und Gomorra. Gott soll darin die beiden Städte verbrannt haben, weil sich die Bewohner sündhaft verhalten hätten. Auslegungen gingen davon aus, dass es sich dabei um homosexuelle Praktiken handelte. Deshalb wurden schwule Männer in Europa bis ins 19. Jahrhundert als "Sodomisten" bezeichnet – da der Begriff "Homosexualität" erst in dieser Epoche aufkam. In Teilen der USA ist "Sodomie" noch immer ein Begriff für homosexuellen Sex.

Keine allgemeine Ablehnung in Bibel

Heller meint, dass die moderne Bibelauslegung nicht mehr davon ausgeht, dass mit Sodom und Gomorra die Verdammung des homosexuellen Lebensentwurfs gemeint war. Vielmehr wurden "abnormale" sexuelle Handlungen wie Analverkehr, Sexualität mit Tieren oder Kindern als sündhaft verurteilt. "Natürlich bedeutet die veränderte Auslegung keine Trendwende für die Akzeptanz von homosexuellem Sex. Allerdings kann man aus der Bibelstelle keine allgemeine Ablehnung gegen Homosexualität ableiten", so die Theologin.

Auch der Theologe Erhard S. Gerstenberger sieht in einer Vorlesung an der Universität Marburg keine generelle Verdammung von Gleichgeschlechtlichkeit in der Bibel. Vielmehr galten die strengen Sexualvorschriften ursprünglich für Priester. Es war ihnen etwa verboten, mit einer menstruierenden Frau zu schlafen, und sie mussten sich nach Ausflüssen aus den Genitalien gründlich reinigen, ehe sie den Tempel betraten. Erst als man davon ausging, dass sich Gott in allen Gläubigen befindet, wurden die Regeln auch auf Laien ausgedehnt - und damit die Ablehnung von Homosexualität.

Anthropologisches Phänomen

Für Gerstenberger ist Homophobie nicht nur ein religiöses, sondern auch ein anthropologisches Phänomen. In seiner Vorlesung zitiert er Studien, wonach es bei der Bildung von Gruppen dazu kommt, dass "auffällige andere" aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden.

Dieser Ausschluss aus der Gemeinschaft findet sich kontinuierlich seit dem Altertum bis über die Verfolgung von Homosexuellen im Mittelalter, wo sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden, und gipfelte in der systematischen Jagd auf Homosexuelle im Dritten Reich.

In Österreich wurde Homosexualität zwischen Erwachsenen erst im Jahr 1971 legalisiert. In mehr als 80 Ländern der Welt verstößt die Liebe zwischen zwei Menschen des gleichen Geschlechts hingegen noch immer gegen das Gesetz. In Afrika sind 36 von 55 Ländern betroffen. Für den britischen Menschenrechtsaktivisten Peter Tatchell liegt die homophobe Einstellung dieses Kontinents an der westlichen Kolonialisierung und Missionierung. So zitiert ihn der "Guardian": "Der wahre Import war nicht Homosexualität, sondern Homophobie." (Bianca Blei, derStandard.at, 30.5.2014)