Türkischer Gastarbeiter in Wien: Klima gebessert.

Foto: Robert Newald

Man streitet über den Minarettturm, der gebaut werden darf oder nicht, den Untergang des Abendlandes oder die Überdachung eines Innenhofs in einem Wiener Mietshaus, das vornehmlich von türkischstämmigen Bürgern bewohnt wird und heimlich in eine Art Moschee umgewandelt werden könnte. So denken Österreich und der Großteil Europas.

"Die Türken sind von einer sozialen in eine religiöse Kategorie gedrängt worden", sagt Zana Çitak, eine Politikprofessorin aus Ankara. Religion sei zu einem Instrument der Migrationspolitik in Europa geworden, und die türkischen Einwanderer - Nichtreligiöse, Sunniten, Aleviten - zugleich zum außenpolitischen Instrument der konservativ-religiösen Regierung in der Türkei. Etwas läuft offensichtlich schief bei der Integration einer der größten Zuwanderergruppen.

50 Jahre nach der Unterzeichnung des Anwerbeabkommens mit der Türkei ist Zeit für eine Bestandsaufnahme. Bei einem Symposium des österreichischen Außenministeriums in Ankara dieser Tage trafen sich Politologen, Ökonomen, Historiker und Philosophen und zeichneten ein kritisches Bild von der türkischen Migration und ihrer Aufnahme in der österreichischen "Mehrheitsgesellschaft": Türken stehen in der religiösen Ecke, arbeiten nach wie vor in Niedriglohnbranchen, sind unsichtbar in der österreichischen Geschichtsschreibung. Ein zweites Symposium findet am 16. Juni in Wien statt.

Projekt "Willkommenskultur"

Österreich ergreife nun die Chancen der Migration durch eine strategische Integrationspolitik, sagte Botschafter Klaus Wölfer bei der Eröffnung der Tagung an der staatlichen Hacetepe-Universität. Das Wiener Innenministerium finanziert die Weiterbildung türkischer Einwanderer, die rot-weiß-rote Karte wurde erfunden, die Entwicklung einer "Willkommenskultur" ist das große Ziel. Das Klima sei besser geworden, erklärte Franz Wolf-Maier vom Österreichischen Integrationsfonds, "es spiegelt aber nicht die volkswirtschaftliche Bedeutung wider, welche die Integration hat".

183.000 türkischstämmige Bürger leben in Österreich, 56.000 Türken gehen einer geregelten Beschäftigung nach; bei zehn Prozent liegt ihr Anteil an den ausländischen Arbeitnehmern im Land. 1973, auf dem Höhepunkt der Zuwanderung, waren es zwölf Prozent oder rund 30.000 - Menschen aus Anatolien mit eiserner Arbeitsdisziplin. Es ging ums Geldmachen und Vorwärtskommen, erzählen die Gastarbeiter von einst. Man hätte damals schon den Schwung der Einwanderer nutzen und in die Bildung der nachfolgenden Generationen investieren sollen, so sieht es im Rückblick aus. Stattdessen wurde aus der Migration eine Religionsdebatte.

Österreich, das sich viel auf seine Tradition der religiösen Toleranz zugutehält, hat früher als andere europäische Staaten für seine Einwanderer die islamische Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) organisiert. "Religion ist per se nicht Integration", stellte aber Zekirija Sejdinit, Professor für islamische Religionspädagogik an der Universität Innsbruck und Präsident des Schura-Rats der IGGiÖ, bei dem Symposium in Ankara fest.  (Markus Bernath aus Istanbul, DER STANDARD, 22.5.2014)