Nina Chruschtschewa mit Mutter Julia und Großvater Nikita Chruschtschow und an dessen 77. Geburtstag 1971 ...

Foto: Familienarchiv Julia Chruschtschewa

... und bei ihrem jüngsten Wien-Aufenthalt

Foto: Josef Kirchengast

Wien - Der russische Präsident habe es nie offen gesagt, aber an all seinen Handlungen zeige sich: "Stalin ist Putins Held." Nach Ansicht des Kreml-Chefs seien die Russen unter dem Sowjetdiktator stolz auf ihr Land gewesen und hätten diesen Stolz nach dem Kollaps der UdSSR verloren. Die Annexion der Krim sei eine Tat, mit der Putin den Russen den Stolz zurückgeben wolle.

Nina Chruschtschowa hat eine ganz persönliche Beziehung zur Krim. Die in den USA lebende und lehrende Expertin für internationale Politik ist Enkelin des Stalin-Nachfolgers Nikita Chruschtschow. Dieser "schenkte" die Krim 1954 der ukrainischen Sowjetrepublik.

War das eine Art Wiedergutmachung für Stalins Terror gegen die Ukrainer, der in einer Hungersnot mit Millionen Toten gipfelte? "Putin sagt das, aber ich bin mir nicht so sicher. Die Krim war zu der Zeit ziemlich heruntergekommen, und Chruschtschow dachte, die Ukrainer mit ihrer landwirtschaftlichen Erfahrung könnten die Halbinsel wieder nach oben bringen", sagt Chruschtschowa im Standard-Gespräch.

Die Politologin kuratiert das Projekt "Russland und sein Nahes Ausland" des Wiener Kreisky-Forums. Dort stellte sie jüngst ihr in den USA erschienenes Buch The Lost Krushchev. A Journey into the Gulag of the Russian Mind (Tate Publishing) vor. Der "verlorene Chruschtschow" ist ihr leiblicher Großvater Leonid, der 1943 als Kampfpilot abstürzte. Dass er von den Sowjets als Verräter denunziert wurde, der mit den Nazis kollaboriert habe, gehört für Chruschtschewa zu der für den "geistigen Gulag" Russlands typischen Paranoia.

Nikita Chruschtschow ist eigentlich Ninas Urgroßvater. Aber nach Leonids Tod adoptierte er dessen Tochter Julia, Ninas spätere Mutter, und wurde damit auch zum Großvater. In seiner berühmten Parteitagsrede 1956 rechnete Chruschtschow mit dem Stalinismus ab (dem er selbst gedient hatte). 1964 wurde er abgesetzt. Es folgten die lange Stagnation der Breschnew-Ära, Michail Gorbatschows Reformversuch Perestroika und das Ende der Sowjetunion.

Putin will nun die Geschichte korrigieren, davon ist Nina Chruschtschowa überzeugt. Sein Verhalten sei stark von seiner Erziehung und Ausbildung im Geheimdienst KGB geprägt. Hat er aber auch den großen strategischen Plan? "Ich denke ja. Er sieht sich in den Fußstapfen der großen Einiger Russlands - Peter der Große, Iwan der Schreckliche, Josef Stalin."

Kritik an den USA

Das wird von der Umwelt großteils als aggressiver Neoimperialismus empfunden. Was ist die adäquate Reaktion? "Das Gespräch ist sehr wichtig. Den Europäern war bewusst, was Putin in der Ukraine wollte, doch gleichzeitig gab es ein Gespräch zwischen allen Parteien. Aber in dem Moment, wo sich Amerika einschaltete, gab es diese ideologische Komponente und man sprach vom Kalten Krieg. Nicht, dass ich Putin in irgendeiner Weise verteidigen will - aber ich glaube nicht, dass die USA in diesem Konflikt sehr hilfreich sind."  (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 22.5.2014)