Chinas umweltfreundlichste Bürokraten sitzen in einer Unterabteilung der Pekinger Stadtregierung. Ihr Mitte 2012 gegründetes Büro nennt sich Amt für das öffentliche Mietfahrrad. Tief im Westbezirk ist es im 15. Stockwerk eines Behördenhochhauses als Teil der Verkehrs- und Transportbehörden untergebracht.
Die grünen Amtsleute haben in ihrem Logo den Schriftzug Peking zum Fahrrad geschwungen. "Wir erobern Peking wieder für das Fahrrad zurück", sagte Ouyang Songtao, ein knapp 30-jähriger Beamter, dem Standard. "Wir wollen etwas ganz praktisch gegen die Luftverschmutzung und zur Verkehrsberuhigung tun."
Blechlawinen statt Radler
Chinas Hauptstadt trug einst den Beinamen "Königreich der Radfahrer" und war für ihr ohrenbetäubendes Geklingel berüchtigt. Heute unterscheidet sie sich von anderen asiatischen Metropolen und deren Blechlawinen nur noch durch eine dichtere Smogglocke. Das ging so schnell, dass es die meisten Bürger nicht einmal merkten.
Vor gut einer Dekade lebten in Peking 13 Millionen Menschen, die zehn Millionen Fahrräder angemeldet hatten und von denen jeder Dritte auf sein Nummernschild sogar Fahrradsteuer zahlte. Ende 2002 schlug die nationale Umweltzeitung Zhongguo Huanjingbao Alarm, als 1,7 Mio. Autos in der Hauptstadt herumfuhren.
Zu spät
"Das Königreich des Fahrrades wankt in seinen Grundfesten." Da war es zu spät. Peking, wo heute 21 Millionen Menschen wohnen und 5,4 Millionen Autos fahren, ließ keinen Platz mehr zum Radeln. Aus Fahrradwegen wurden Ersatzstraßen für Autos und langgezogene Parkplätze, die Räder vergammelten als Sperrgut, das in Fluren oder in Abstellkammern verstaut wurde. Ihre einstigen Nummernschilder werden auf Flohmärkten als "Antiquitäten" verkauft.
Nun plant die Stadt ein stilles Comeback des Drahtesels im Straßenverkehr. Statt Fahrradsteuer zu kassieren, ist sie bereit, dafür zu zahlen. Viele rieben sich die Augen, als nach einer Testphase ab Juni 2012 über Nacht das Fahrrad von Amts wegen wieder ins Straßenbild eingeführt wurde.
Meterlange Abstellplätze
Die ersten Amtspachträder tauchten in Dongcheng und Chaoyang auf, zwei der acht Bezirke der City. Am Rand der Bürgersteige montierten Arbeiter meterlange Fahrradunterstände mit bis zu 30 Abstellplätzen, ausgestattet mit elektronischen Chiplesegeräten und automatischen Schlössern, allesamt verbunden mit einer Stationskontrolle. Dann fuhren sie auf Lastwagen die Räder an. Die stabilen, aber leichten Damenräder haben einfach verstellbare Sättel, montierte Einkaufskörbe, eine laute Klingel und zwei integrierte Verriegelungssysteme. Eines dient zum manuellen Abschließen beim Einkaufen, eines zum Einschnappen im Unterstand.
Die Pekinger verloren rasch alle Berührungsängste. Für die Geldkarten, mit denen sie das Rad an jedem beliebigen Stand abholen und am nächsten Platz wieder einstellen können, gibt es eigene Verkaufsstände an U-Bahn-Stationen und Busbahnhöfen. Der Käufer muss nur Personalausweis bzw. Pass (Ausländer) vorzeigen und 200 Yuan Pfand zahlen. Als Clou wirbt die Stadt damit, dass die erste Stunde gratis ist. Für jede weitere Stunde wird vom Kartenkonto ein Yuan (zwölf Cent) abgezogen.
Räder für kurze Distanzen
Der Beamte Ouyang ist seinen cleveren Landsleuten nicht gram, dass sie das ausnutzen. 97 Prozent entleihen ihre Räder immer nur für eine Stunde und fahren umsonst. "Genau das wollen wir: Bürger, die zur nächsten U-Bahn- oder Busstation hinradeln oder Kurzstrecken zum Einkaufen mit dem Rad fahren."
Die Stadt machte mit 2000 Rädern und 100 Ständen den Anfang. Inzwischen hat sie 25.000 Räder auf 700 Stationen in allen acht Bezirken verteilt. Bis 2015 sollen es 50.000 Räder an 1000 Unterständen werden, die in dichtbesiedelten Stadtteilen nicht weiter als 500 Meter auseinanderliegen. Amsterdam, Paris und München sind Pate gestanden. Außenbezirke haben ihre eigenen Systeme. Ouyang: "Die Räder sind vor allem für den innerstädtischen Verkehr gedacht."
Ohne Subvention geht nichts
Gut 100.000 Pekinger haben sich angemeldet. Jedes Rad wird im Durchschnitt 2,8-mal am Tag entliehen. Der Erfolg der Aktion lässt sich am Missverhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben ablesen. 2013 flossen 280.000 Yuan (34.000 Euro) aus dem Entleih in die Kassen. Für Neuanschaffungen, Reparatur und Wartung zahlte Peking im gleichen Zeitraum 50 Millionen Yuan. Ohne Zuschüsse aus dem Verkehrshaushalt würden die acht Fahrradhersteller und die kommerziellen Betreiber der Stände, die die städtischen Ausschreibungen gewonnen haben, nicht mitmachen.
Die Stadtregierung hat bisher 100 Millionen Yuan in die Infrastruktur und Anschaffung der Amtsräder investiert. 80 Millionen zahlten die Bezirke für laufende Kosten. In zwei Jahren seien nur acht Räder gestohlen worden.
Mietsystem breitet sich aus
Zwei Drittel der Radfahrer sind zwischen 20 und 50 Jahre alt und haben das Gefühl, für das smogverseuchte, von Dauerstaus geplagte Peking lohnten sich die Ausgaben. Jede Imagewerbekampagne käme teurer. Die Verkehrsverwaltung kämpft daher gerade auch die vollgeparkten Fahrradwege wieder frei. Sie sollen künftig auffällig bunt gestrichen werden und nur noch zum Radeln da sein. "Wir wollen Peking wieder mehr Umwelt und Farbe geben", sagt der Beamte.
Das amtliche Fahrradmietsystem breitet sich in China aus. Gut 100 Städte haben es in vielen Varianten eingeführt. Auch das tibetische Lhasa ist darunter. Ende 2013 gab es dort 242 blau-weiß lackierte Leihfahrräder. Auf Dauer können die hochverschuldeten Kommunen die Fahrräder nicht allein subventionieren und versuchen, Räder und Stationen als Werbeplätze zu vermarkten. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 22.5.2014)