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Marine Le Pen im Wahlkampf

Foto: AP Photo/Claude Paris

Bei einer Wahldebatte in Nordfrankreich hat Marine Le Pen vor kurzem ihre Meisterin gefunden. Die Chefin des rechtsextremen Front National (FN), die seit 2004 Abgeordnete im Europaparlament ist, wetterte dort gegen offene Grenzen, beklagte Missbrauch von Sozialleistungen und steigende Kriminalität.

Die EU und die Freizügigkeit seien schuld daran. Genau das wolle sie bekämpfen, sagte Le Pen. Die Grenzkontrollen sollten wieder eingeführt werden, ebenso der Franc anstelle des Euro als gemeinsamer Währung. Die Spitzenkandidatin der französischen Grünen, Karima Delli, griff das sofort auf. Darüber sei im Innenausschuss in Straßburg und Brüssel in den vergangenen zwei Jahren intensiv verhandelt worden, "aber ich habe Sie dort nie gesehen", hielt sie der FN-Chefin entgegen.

Diese zeigte sich eher peinlich berührt. In der Tat gehört Frau Le Pen zu jenen EU-Abgeordneten, die in den Abwesenheitsstatistiken Spitzenränge einnehmen und die konkrete Parlamentsarbeit vernachlässigen, aber mit frontalen Anti-EU-Parolen quer durch die Union Schlagzeilen machen.

Zersplitterung ist groß

Diese Episode in einem nordfranzösischen Wahlkreis ist ein nebensächliches Detail. Aber sie illustriert, wie groß der Widerspruch zwischen Wahlpropaganda und politischer Umsetzung, nationalistischen Träumen und Wirklichkeit im rechten Lager ist.

Das liegt zum einen daran, dass die Abgeordneten des rechten und rechtsextremen Lagers, der Anti-EU-Populisten wie Nationalisten, bisher trotz einzelner Wahlerfolge machtpolitisch kaum eine Rolle spielen - egal ob sie fraktionslos sind wie die LePenisten, die FPÖ-Abgeordneten aus Österreich oder der ehemalige BZÖ-Mandatar Ewald Stadler; oder ob es ihnen gelingt, sich zur Fraktion zusammenzuschließen, wie das die britische Unabhängigkeitspartei (Ukip) von Nigel Farage 2009 mit der italienischen Lega Nord tat.

Daneben gibt es die konservativen EU-Skeptiker der AECR, in der britische Tories sich mit polnischen und tschechischen Nationalisten zusammentaten.

Bisher kamen sie alle auf 100 Mandate. Diesmal könnten es bis zu 160 von 751 Parlamentssitzen werden. Auf die Gesetzgebung haben sie praktisch kaum Einfluss.

Keine der traditionellen Fraktionen in Straßburg will mit ihnen kooperieren. Der EVP-Spitzenkandidat Jean-Claude Juncker für das Amt des Kommissionspräsidenten hat öffentlich bekundet, dass er lieber auf das Amt verzichtet als sich von den Rechten mitwählen zu lassen.

Zum anderen liegt die Isolierung aber auch daran, dass die rechten Gruppen untereinander uneinig sind. Die Abgeordneten der Jobbik-Partei aus Ungarn werden etwa wegen ihres unverhohlenen Antisemitismus geschnitten. Der Däne Morten Messerschmidt von der Nationalpartei will mit der FPÖ nichts zu tun haben - wegen der rassistischen Untertöne, wie er findet.

Der Niederländer Geert Wilders und seine "Freiheitspartei", dem wie Le Pen ein Erfolg bei den EU-Wahlen vorausgesagt wird, treten als scharfe Anti-Islam-Partei auf, wollen aber mit Antisemitismus nichts am Hut haben. Der "Rechtsruck", der von vielen prognostiziert wird, muss also mit Vorsicht betrachtet werden.

Dutzende Rechtsparteien

Insgesamt treten gut drei Dutzend Rechtsparteien an. Es gilt als wahrscheinlich, dass neben der Fraktion von Farage und jener unter Führung der Tories eine dritte Fraktion entsteht, die von Le Pen und der FN dominiert wäre, sollten diese in Frankreich gut 20 Mandate einfahren. Neben der FPÖ und Wilders wollen sich daran auch der belgische Vlaams Belang oder die sogenannten Schwedendemokraten beteiligen.

Der Front National könnte in Frankreich sogar Platz eins erringen, weil die sozialistische Regierung und die Konservativen in einer Krise stecken. Dass Le Pen ihre Ziele politisch umsetzt, darf bezweifelt werden. Denn wirklich einig sind sich die rechten Anti-EU-Populisten nur in der Ablehnung. Nationale Positionen der anderen zu stärken, dafür fehlt es oft schlicht an Interesse. Le Pen trat ja auch nie in Österreich auf.  (Thomas Mayer aus Brüssel, DER STANDARD, 22.5.2014)