Die Armutseinwanderung dominiert seit Monaten die Debatte über Großbritanniens Verhältnis zum Brüsseler Club. Ehe am 1. Jänner die Beschränkungen der Freizügigkeit für Bulgaren und Rumänen wegfielen, hatte Nationalpopulist Nigel Farage von Ukip schlimme Schreckensvisionen verbreitet: Er redete von "27 Millionen Menschen", als wollten sich sämtliche Bewohner der beiden EU-Mitglieder auf der Insel breitmachen.

Vergangene Woche gab das Statistikamt ONS Zahlen über die Einwanderung aus Europas Südosten bekannt. Und siehe da: Im ersten Quartal 2014 lebten 4000 Rumänen und Bulgaren weniger in Großbritannien als am Ende des vergangenen Jahres. Nachfragen wischte Farage vom Tisch und verwies darauf, dass die Zahl höher lag als im Vergleichszeitraum 2013. "Wir haben die Kontrolle über unsere Grenzen verloren", behauptet der EU-Abgeordnete.

Unerfreuliche Botschaften

Wenn die Briten jetzt zur Urne gehen - wie üblich wird schon am Donnerstag gewählt -, werden sie zwei unerfreuliche Botschaften an den Kontinent senden. Zum einen nehmen sie das Straßburger Parlament nicht wirklich ernst. Und die wenigen (2009: 34,7 Prozent), die vom Wahlrecht Gebrauch machen, schicken eine Mehrheit aus EU-Skeptikern und ausgemachten EU-Feinden über den Kanal.

"Ukip hat schon gewonnen", konstatierte die rechte Intellektuellen-Postille Spectator. Weder die Parteien der konservativ-liberalen Koalition unter Premier David Cameron noch die Labour-Opposition wussten eine Antwort auf die polemischen Parolen der EU-Hasser. Es fand sich auch kein anderes Thema im Wahlkampf.

Wahlkampf? Europapolitische Themen spielen auf der Insel keine Rolle. Die Zukunft der Eurozone? Interessiert die Briten nicht, solange ihr Finanzzentrum City of London nicht beeinträchtigt ist. Europas Antwort auf Russlands Ukraine-Politik? Da versteckt sich London hinter Washington. Spitzenkandidaten für die EU-Kommission? Keine Ahnung.

Nur die Liberaldemokraten unter Vizepremier Nick Clegg halten unverdrossen die EU-freundliche Fahne hoch - allerdings mit Umfrageergebnissen, die auf ein verheerendes Abschneiden bei der Wahl hindeuten. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 22.5.2014)