Screenshot: "STALKER: Lost Alpha"
Screenshot: "STALKER: Lost Alpha"
Screenshot: "STALKER: Lost Alpha"
Screenshot: "STALKER: Lost Alpha"
Screenshot: "STALKER: Lost Alpha"
Screenshot: "STALKER: Lost Alpha"

Es ist einer der Kultklassiker im Genre der First-Person-Shooter: Das 2007 veröffentlichte “STALKER: Shadow of Chernobyl” führt bei Fans und Kritikern auch Jahre später noch zu glänzenden Augen. Der ukrainische Entwickler GSC Gameworld entließ die im Genre an lineare Schlauchlevels gewohnte Shooterspielerschaft in eine atemberaubend offene, aber tödliche Sperrzone rund um die verstrahlte Kraftwerksruine Tschernobyl, wo sich Mutanten, Armee und Habenichtse bei der Jagd nach mysteriösen Artefakten bis aufs Blut bekämpfen.

Die Hintergrundstory und das Setting waren mehr oder weniger inspiriert von den Großen der Science-Fiction und des Films geklaut: Die Kurzgeschichte “Picknick am Wegesrand” der Brüder Strugatzki, ein Meilenstein der sowjetischen Phantastik, und der darauf basierende Kultfilm “Stalker” des russischen Regiegenies Andrei Tarkovsky lieferten wenig verhüllt die Grundlage des Spiels, die von den ukrainischen Entwicklern geschickt um Lokalkolorit und die Verknüpfung mit einer sehr realen Katastrophe erweitert wurde.

Beispiellose Atmosphäre

Die düstere, leicht esoterisch angehauchte Hintergrundgeschichte um die Identitätssuche in der Todeszone rund um Tschernobyl ist dabei aber sekundär, denn die Hauptrolle spielte zweifelsohne die damals grafisch spektakuläre, aber auch durch ihre Größe und Offenheit beeindruckende Spielewelt. Die ukrainischen Entwickler hatten sich von der evakuierten Landschaft rund um die Kraftwerksruine inspirieren lassen und Architektur, manche Grundrisse und Topografien der realen Umgebung der seit dem Reaktorunglück 1986 verlassenen Kleinstadt Pripyat ins Spiel einfließen lassen. Die bedrückende, wehmütige Stimmung, die die Spieler in der offenen, verwüsteten Welt von “STALKER” erwartete, ist bis heute selten übertroffen worden.

Und diese Welt lebte: Dank eines selbst entwickelten AI-Systems namens “A-Life” verhielten sich die computergesteuerten Monster und Mitstreiter immer aufs Neue unvorhersehbar. Statt geskripteter, immer gleicher Ereignisse erwartete die Spieler eine auch ohne Zutun miteinander agierende Umwelt: vom Computer gesteuerte Tiere und Bewohner der Todeszone, die untereinander handelten, sich bekriegten, Jagd auf Monster und Artefakte machten.

“Lost Alpha”

Als 2007 “STALKER” zu triumphalen Kritiken endlich erschien, lagen sechs steinige Jahre der Entwicklung hinter dem erschöpften ukrainischen Team. Viele Kritiker hatten schon nicht mehr an die Fertigstellung des seit Jahren angekündigten Projekts geglaubt - und tatsächlich unterschied sich das schlussendlich veröffentlichte Spiel zum Teil bedeutend von dem, was Jahre zuvor unter dem Arbeitstitel “STALKER: Oblivion Lost” versprochen worden war.

Nun - sieben Jahre nach der Veröffentlichung des Originals und nach zwei Fortsetzungen - haben Freiwillige diese Versprechen nach besten Möglichkeiten wahr gemacht: Das kostenlose und ganz ohne Hauptprogramm als Standalone-Version spielbare “STALKER: Lost Alpha” entführt Spieler nicht nur erneut in die vom großen Klassiker bekannte Todeszone, sondern bietet sozusagen einen inoffiziellen “Director’s Cut”, der vieles von dem, was während der Entwicklung von “Oblivion Lost” versprochen wurde, in die Realität umsetzt.

Tödliche Schönheit

Dass “STALKER: Lost Alpha” auch 2014 noch ein Augenschmaus ist, verdankt das Gratisprojekt den seit Jahren tätigen Moddern, die in liebevoller Kleinarbeit dafür Sorge tragen, dass die Spiele der “STALKER”-Reihe grafisch frisch bleiben. Wie etwa die hier im GameStandard bereits vorgestellte “Misery”-Mod für den dritten Teil der Reihe sorgt auch “Lost Alpha” für optische, aber vor allem spielerische Neuerungen: Bessere Wetter- und Lichteffekte sorgen für Atmosphäre, neue Waffen, neue Spielelemente, aber vor allem einige gänzlich neue Umgebungen verändern und erweitern und remixen das Originalspiel auf signifikante Weise.

Die Grundlage dieser neuen Elemente waren jene Vorab-Screenshots und Preview-Versionen, die GSC Gameworld zwischen 2002 und 2005 der Öffentlichkeit präsentierte - eine Fülle an Locations, Levels und Designs, die bei der in den Regalen landenden Version 2007 unterschiedlichsten Kürzungen zum Opfer gefallen waren. Neue Umgebungen, nutzbare Fahrzeuge, eine teils unterschiedliche Storyline, neue Nebenmissionen und unzählige kleine Tweaks lassen “Lost Alpha” zu mehr als einem “runderneuerten” Klassiker werden.

Für Veteranen und Neulinge

Dabei ereilte das Modder-Team rund um seine ungarische Projektleitung ironischerweise ein ähnliches Schicksal wie GSC World beim Release des Originals: Durch einen Leak gelangte das fast fertige “Lost Alpha” früher als beabsichtigt an die Öffentlichkeit; die in Reaktion darauf nun früher veröffentlichte Version des Fanprojekts wird deshalb wohl noch einige Zeit mit Patches versorgt werden müssen, bis auch die allerletzten Schönheitsfehler in diesem faszinierenden Gratisprojekt ausgebügelt sind.

Sowohl “STALKER”-Veteranen als auch Neulinge sollten sich davon aber nicht abhalten lassen und mit “Lost Alpha” entweder erneut oder aber zum ersten Mal in eine faszinierende neue, in vielen Details überarbeitete Version des Kultklassikers stürzen. “Lost Alpha” ist neben dem Fan-Remake von “Half-Life”, “Black Mesa”, ein weiteres Beispiel dafür, dass die Liebe und Ausdauer  begeisterter Fans zu Großem beflügelt - und das zum Nulltarif. (Rainer Sigl, derStandard.at, 25.5.2014)

Trailer: "STALKER: Lost Alpha"
dezowave