Initiator des Projekts Max Winter mit seinem Plakat in Istanbul.

Milk, süt, mlijeko, молоко, latte... – das sind nur einige Namen für das unverwechselbare weiße Natur- und Industrieprodukt, das so gut wie jeder tagtäglich konsumiert, ganz gleich, ob er lokal oder kosmopolitisch lebt.

Auf dem Plakat sind 30 Milchpackungen aus ganz Europa zu sehen. Mit "Europa" ist hier tatsächlich Europa, und nicht EU gemeint. Daher sind auch vier Sprachen zu finden, die zum europäischen Raum gehören, aber keine EU-Sprachen sind, nämlich Mazedonisch, Russisch, Türkisch und Albanisch. Die Milchpackungen stehen nicht für Nationalstaaten, sondern für Sprachen.

"Unaufdringlich und lebensweltlich verortet"

Was hat es nun mit diesem Plakat auf sich? Max Winter vom Künstlerkollektiv "Aktion Freie Kunst" aus Wien erklärt: "Alle kaufen Milch. Deshalb wollten wir ausgerechnet mit diesem Konsumprodukt Europa darstellen, auf eine unaufdringliche und lebensweltlich verortete Weise.“

Konsum als geeignete Symbolisierung

Die Wahl des Wortes "Konsumprodukt" ist nicht zufällig, denn dem Initiator des Projekts Max Winter geht es auch darum, kritisch aufzuzeigen, dass wir alle eigentlich in einer Wirtschaftskultur leben. Es sei nämlich, so Winter, gar nicht einfach, abseits der wirtschaftlichen Integration eine Symbolisierung für den gesamteuropäischen Kontext zu finden. Winter verweist dabei auf die Ursprünge der EU, die auf den Grundgedanken zurückgehen, die wirtschaftliche Interdependenz so weit zu steigern, bis es sich nicht mehr lohnte, gegeneinander Krieg zu führen. "Es ist durchaus ein wenig erschreckend, dass Europa sich so gut durch ein Konsumprojekt darstellen lässt", erklärt Winter eine mögliche Lesart des Plakats, das auch als Tabelle für die unterschiedlichen Sprachen in Europa fungieren kann.

Die zündende Idee selbst entstand übrigens in Sarajevo, also außerhalb der EU, erzählt Winter: "Ich fand die Milchpackung mit der Aufschrift "mlijeko" sehr schön, und ich dachte, auf diese Weise könnte man ein Statement zu Europa abgeben."

Soziale Skulptur

Das Kunstprojekt ist als „soziale Skulptur“ angelegt, das heißt, jeder kann ein Plakat bestellen, irgendwo in Europa ein Foto davon schießen und dieses an das Künstlerkollektiv schicken. Anschließend werden die Fotos auf der Website gepostet, wodurch das Kunstprojekt auch eine integrative und partizipative Dimension erhält. Die Plakate sind außerdem in den Häusern der EU in den Mitgliedsstaaten erhältlich.

Kommerz und öffentlicher Raum

Durch die Möglichkeit der interaktiven Partizipation hat sich ein weiterer Aspekt eröffnet, nämlich die Frage nach dem öffentlichen Raum. Winter erzählt, dass dort, wo die ökonomischen Interessen stärker konzentriert sind, es so gut wie unmöglich sei, Plakate anzubringen, beispielsweise in London, wo auf Rückfrage von offizieller Seite sofort mit "tremendous penalties" ("gewaltige Strafen") für unerlaubtes Plakatieren gedroht wurde. Ähnlich sei die Lage auch im Ersten Wiener Gemeindebezirk, wo ebenfalls eine „forcierte ökonomische Nutzung“ herrscht, weil es keine Geschäftslokale gibt, die länger als zwei Tage ungenützt bleiben. Durch die sukzessive ökonomische Nutzung werde jedoch die Entstehung des öffentlichen Raums verhindert, die Möglichkeiten zur politischen Äußerung eingeschränkt, gibt Winter zu bedenken.

Ganz anders dagegen die Reaktion der Behörden in Valetta, der Hauptstadt von Malta: "Dort wurde uns wörtlich mitgeteilt, ‚wir sind hier im Süden, uns ist es egal, was ihr macht.’"

Großkonzerne als Hauptakteure

Und schließlich gibt es noch eine weitere ökonomische Facette, die durch das Kunstprojekt ebenfalls sichtbar wird, nämlich die Frage, welche Firmen überhaupt in Zukunft Milch produzieren werden. Winter: "In der Werbung hat die Milch noch einen nationalen und sogar lokalen Charakter, aber man sieht auch jetzt schon, dass da in Wahrheit riesige Milchkonzerne dahinter stehen."

Es könnte interessant sein, in zehn Jahren noch einmal einen Blick auf das Plakat zu werfen und nachzusehen, welche von den Firmen dann noch bestehen, und welche in der Zwischenzeit von Großkonzernen aufgekauft sein werden. (Mascha Dabić, 23.5.2014, daStandard.at)