Florian Scholz: "Das Klagenfurter Stadttheater wird wahrgenommen als ein Haus für große Talente am Anfang ihrer Karriere."

Foto: Robert Newald

STANDARD: In Wien Matthias Hartmann, in Mailand Alexander Pereira: In letzter Zeit häufen sich die "Intendanten-Skandale". Schreckt Sie das?

Florian Scholz: Nein. Theaterleiter ist ein Beruf voller Fallen. Es gab zu allen Zeiten ein Scheitern in diesem Beruf, es wurde nur nicht so viel darüber geredet.

STANDARD: Auch bei Ihnen schien in der ersten Spielzeit der Sessel zu wackeln. Haben Sie das Steuer herumgerissen, oder ist das Publikum auf Ihren Kurs eingeschwenkt?

Scholz: Ich wollte mit dem hiesigen Publikum eine gute Partnerschaft eingehen. Wenn man in einer Partnerschaft sagt: "Schatz, ich habe mir heute für dich meine Mickey-Mouse-Krawatte umgebunden", und es löst keine Begeisterung aus, versucht man es das nächste Mal mit einer anderen Krawatte. Es war in der zweiten Spielzeit beiderseits wie ein Zusammenkommen, ohne sich zu verlieren.

STANDARD: Was Sie vielleicht verloren haben, ist der Glaube an ein festes Ensemble?

Scholz: Ich bin weiterhin an Künstlern im Festvertrag interessiert. Heuer sind es im Bereich Oper nur mehr zwei, aber 2015/16 will ich wieder vier, fünf Stimmen haben. Beim Schauspiel ist es schwierig. Da müsste jedes Mitglied in allen vier Saison-Produktionen spielen, das wollen die Zuschauer nicht. Ein Sprechtheater-Ensemble lässt sich mit unserem Stagionebetrieb nicht vereinbaren.

STANDARD: In der dritten Spielzeit wird oft über Vertragsverlängerung entschieden. Sehen Sie sich nach 2017/18 weiter in Klagenfurt?

Scholz: Es ist noch zu früh, darüber zu reden. Ich bin diesem Haus emotional verbunden und habe kein Bedürfnis, die Zelte sofort wieder abzubrechen. Es ist in dieser Saison erst die Grundlage entstanden, dass wir auf schönen Erlebnissen aufbauen können.

STANDARD: Sind Sie als Kulturmanager mit Schauspielausbildung traurig, nicht künstlerisch tätig zu sein?

Scholz: Ich behaupte jetzt einmal mit einiger Hybris, dass ich auch eine Oper inszenieren könnte, die sich das Publikum anschaut. Aber wirklich Regie führen hat dann doch noch mit einer besonderen Begabung zu tun. Es verlangt allerdings auch Kreativität, ein Haus zu führen. Da sind Partnerschaften mit den Künstlern erforderlich. Ich pfusche ihnen aber nicht hinein. Damit ein Projekt auf den Spielplan kommt, müssen beide Seiten sagen: So stimmt es. Die Frage, mit der ich mich einmische, ist immer nur: Hast du etwas zu erzählen?

STANDARD: Sie stellen in der nächsten Spielzeit die Rimbaud'sche Einsicht "Ich ist ein anderer" als Motto über höchst unterschiedliche Produktionen. Was war zuerst: das Programm oder das Motto?

Scholz: Ich muss Ihnen widersprechen, falls Sie meinen, dass man nicht alles unter diesem Motto sehen kann. Im Amphitryon spricht Sosias es an: "Hochwürdiges Ich, würdest du mir gestatten, ich selbst zu bleiben!" Ähnliches gilt für die Fledermaus, für die Bildnisarie in der Zauberflöte, für den Leopold im Weißen Rössl. Aber es ist immer ein Spiel mit dem Thema, man nähert sich von beiden Seiten an. Wir haben Programm und Motto parallel erfunden.

STANDARD: Seit März 2013 sprechen manche von einem Kärnten der Wende, andere von einem Kärnten der Wendehälse. Ist Ihre Identitätsdebatte auf dieses Bundesland gemünzt?

Scholz: Als ich hierherkam, wurde ich alle fünf Minuten gedrängt, mich zu Kärnten zu äußern. Ich sehe in diesem Bedürfnis auch eine Ablenkung von den größeren Zusammenhängen. Klagenfurt unterscheidet sich nicht zwangsläufig von den meisten anderen europäischen Städten. Wir leben gerade jetzt in einer Zeit voll schrecklicher Geschehnisse. In der Türkei verrecken 300 Menschen, weil die Gewinnsucht es nicht mehr zulässt, sichere Arbeitsplätze zu schaffen. Die Insel Lampedusa, der wir im Oktober eine Musik- und Theaterproduktion widmen, steht für die Problematik europäischer Zuwanderungspolitik. Wenn wir im Supermarkt unseren Käse auswählen, während draußen die Hölle los ist, sind wir nicht in unserer Identität als Kärntner, sondern in unserer Identität als Europäer gefragt.

STANDARD: Welche Rolle könnte oder sollte das Klagenfurter Stadttheater im Verband der europäischen Bühnen spielen?

Scholz: Ich war im Februar im Opernstudio von New York, um mir junge Stimmen anzuhören. Als der Leiter erfuhr, dass ich aus Klagenfurt bin, sagte er: "Dort scheint im Moment viel los zu sein." Wir werden wahrgenommen als ein Haus für große Talente am Anfang ihrer Karriere. Das hängt auch mit unserem Orchesterchef Alexander Soddy zusammen, der ein großer Glücksfall ist. Noch wichtiger, als international wahrgenommen zu werden, ist es für mich aber, attraktiv für das Kärntner Publikum zu sein. Ich investiere all meine Kraft, dass wir in allen Bereichen Tag für Tag an Qualität gewinnen. Das ist vielleicht auch die beste Antwort auf Ihre Frage nach meiner Zukunftsplanung: Dort, wo man ist, muss man wirklich sein, sonst verpasst man sein Leben. (Michael Cerha, DER STANDARD, 23.5.2014)