Rund 70 Prozent der Astener Klienten weisen ein Krankheitsbild aus dem schizophrenen Formenkreis auf. Aber stimmt die Medikation, sind auch im Maßnahmenvollzug die Gedanken frei.

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Asten - "Die Bibel brauch ich dann draußen. Ich will Pfarrer werden." Herr R. streicht fast zärtlich über den Buchrücken. Auf dem Schreibtisch in dem kleinen Zimmer steht ein Marienbild, ein Kreuz hängt an der Wand. Der Glaube gibt Herrn R. Halt - in einer Welt voller Unsicherheiten. Menschen wie ihn will die Gesellschaft fern von sich haben. Wahn-Täter sieht man eben gerne in Sicherheitsverwahrung.

Herr R. leidet an Schizophrenie. Wahnvorstellungen, Stimmen im Kopf, Wutausbrüche. Man mag es beim Anblick des hageren Mannes mit dem freundlichen Lächeln und dem unsicheren Blick gar nicht glauben, dass gewalttätige Übergriffe letztlich zu einer Einweisung auf unbestimmte Zeit in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher geführt haben.

Ganze Bandbreite schwerer Kriminalität

Herr R. ist einer von 91 Klienten, die derzeit im Forensischen Zentrum Asten nahe Linz betreut werden: "Leichtere Fälle", betont Pflegekoordinator Martin Purner im STANDARD-Gespräch. Leicht bezieht sich in Asten auf eine längere psychisch stabile Phase. Sonst findet man die ganze Bandbreite schwerer Kriminalität - von gefährlicher Drohung zum Mord.

So unterschiedlich die kriminelle Vorgeschichte auch sein mag, die Astener Belegschaft eint der "Einundzwanzig-Einser". Paragraf 21/1 des Strafgesetzbuches regelt die Unterbringung von geistig abnormen Rechtsbrechern, die zum Tatzeitpunkt zurechnungsunfähig waren. Die strafrechtliche Grundlage für eine ganz besondere WG nahe der Westautobahn.

Eingeschränkte Justizwache

In dem kleinen Ort Asten hat man vor vier Jahren auf dem Gelände der dort ansässigen Außenstelle der Justizanstalt Linz beschlossen, im Bereich der Unterbringung für geistig abnorme Rechtsbrecher neue Wege zu gehen.

Wohnen statt Häfen lautet dort jetzt das Motto. Justizwachepersonal gibt es nur für die Eingangskontrollen und die Außensicherheit. Hat man als Besucher einmal die strengen Zutrittshürden genommen, wähnt man sich eher in einer modernen Klinik als in einem Gefängnis.

Gleich nach dem Eingangsbereich betritt man einen großen Besucherraum mit eigenem Café und kleinem Garten. Nur der hohe Zaun zeigt deutlich die Grenzen der Freiheit auf. Durch einen langen Gang vorbei an den Verwaltungsbüros führt Martin Purner die Besucher in den "Wohnbereich".

Bewusst verzichtet Purner auf die "Klassiker" aus dem Justizvollzug: Das "Geschließe" ist in Asten der "Zugang" zur Wohngemeinschaft, die Häftlinge sind Klienten, der gläserne Kontrollraum der Pflegestützpunkt. Wärter gibt es keine, die Insassen werden von Ärzten, Pflegern, Psychiatern, Psychologen, Sozialarbeitern sowie Physio- und Ergotherapeuten begleitet.

Problemfreier Alltag

Gewohnt wird in, nicht versperrten, Einzel- und Doppelzimmern. Doch das eigentliche Leben findet in den Gemeinschaftsbereichen statt. Dort wird gekocht, gebastelt, bei Regen im Fitnessraum hart trainiert. Probleme gebe es selten, erzählt Purner. "Unsere Klientel ist nicht eingesperrt, man hat die Möglichkeit, sich aus dem Weg zu gehen." Eine Sicherheitszelle hat man in Asten trotzdem. "Rückzugsort" heißt dieser Raum.

Und der Erfolg gibt der WG-Leitung recht: In vier Jahren konnten bereits 100 Klienten bedingt in betreute, offene Wohnformen entlassen werden. Der Weg zurück in die Freiheit passiert in kleinen Schritten. Und die Hoffnung hat einen Namen: "UdU" - Unterbrechung der Unterbringung. Es ist die Hoffnung auf eine zweite Chance. Zwanglos, in Freiheit, als Teil der Gesellschaft. (Markus Rohrhofer, DER STANDARD, 23.5.2014)