Es brauche mehr Ressourcen, sagt Adelheid Kastner.

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Salzburg - Der Fall eines psychisch kranken 74-jährigen Mannes, der in der Justizvollzugsanstalt Stein schwer vernachlässigt wurde, lässt die Diskussion um eine Reform des Maßnahmenvollzugs aufleben. Justizminister Wolfgang Brandstetter kündigt an, die Reform wegen der "massiven, auch strukturellen Schwächen" im System vorzuziehen. Auch die Richtertagung in Saalfelden in Salzburg behandelte das Thema, und man ließ am Donnerstag die Psychiater zu Wort kommen.

Insgesamt müsse man sich überlegen, wie viel Risiko man tragen möchte, erklärt die Leiterin der forensischen Abteilung der Wagner-Jauregg-Klinik Linz, Adelheid Kastner. Die Gesellschaft wolle weniger Menschen im Maßnahmenvollzug, aber nicht weniger Sicherheit - "das ist die Quadratur des Kreises". Die Zahl der Menschen im Maßnahmenvollzug ist zwischen 2001 und 2010 um sechzig Prozent gestiegen. Derzeit sitzen 837 Menschen im Maßnahmenvollzug, das entspricht jedem zehnten Häftling österreichweit.

Unterbringung eine Ressourcenfrage

"Wir wollen nicht, dass rollende Zeitbomben herumrennen, aber ein bisschen mehr Risiko kann man der Gesellschaft zumuten. Sonst haben wir bald 50.000 Leute im Maßnahmenvollzug", merkt Friedrich Forsthuber, der Präsident des Straflandesgerichts Wien, an.

Kastner weist darauf hin, dass die Unterbringung von geistig abnormen Rechtsbrechern eine Ressourcenfrage sei. Derzeit würden sich Insassen bis zu 23 Stunden am Tag im Einschluss befinden und eine Stunde im Haftgang. "Wenn man das verbessern möchte, muss man Geld in die Hand nehmen." In der Justizanstalt Stein etwa behandeln derzeit zwei Psychiater 200 psychisch kranke und auffällige Insassen, laut Psychiatrie-Personalverordnung müssten für 150 Leute rund neun Psychiater vorhanden sein. "Von dem sind wir kilometerweit entfernt", erklärt Kastner.

Bedarf an Nachbetreuungseinrichtungen

"Es gibt Patienten, die unheilbar sind und bei uns über Jahre gehalten werden, weil sie nirgends anders unterkommen. Auf die wird nur mehr aufgepasst, und sie werden gereinigt", erklärt der Leiter der Landesnervenklinik Graz, Michael Lehofer, und bringt das Beispiel einer Frau, die gefesselt im Netzbett untergebracht ist.

"Wir fühlen uns abgeschasselt von der Justiz", sagt Lehofer. In Graz müssten chronisch kranke Rechtsbrecher mit normalen Psychiatriepatienten gemeinsam behandelt werden. "Das, was wir tun sollten, können wir mit unseren Mitteln nicht." Eine bedürfnisadäquate Betreuung sei räumlich und personell nicht möglich. Für unbehandelbare, chronisch kranke Patienten müssten Spezialeinrichtungen geschaffen werden, meint Lehofer. Zudem brauche es mehr Nachbetreuungseinrichtungen, wie die Wohneinrichtung Neuland, die sich geistig abnormer Rechtsbrecher annehmen, die aus dem Maßnahmenvollzug entlassen werden.

Einbindung des Gesundheitsressort

"Ein Taferl aufzuhängen in der Justizanstalt und das dann Maßnahmenvollzug zu nennen ist Zynismus", sagt Kastner. Das Justizsystem konstruiere Institutionen, bei denen das Gesundheitssystem schon die Kompetenzen habe.

Auch Justizminister Wolfgang Brandstetter erklärte im Ö1-Morgenjournal, es stelle sich die Frage, ob es sinnvoll sei, psychisch Kranke im Strafvollzug zu betreuen. Auch das Gesundheitsressort müsse eingebunden werden. Der Fall des vernachlässigten Insassen sei symptomatisch für Mängel im Maßnahmenvollzug: "So wie es ist, kann es nicht bleiben." Letztlich werde das Geld kosten, aber es gehe hier um Menschenwürde und Grundrechte. (Stefanie Ruep, DER STANDARD, 23.5.2014)