Havanna – Kaum war "14ymedio.com" am Mittwoch online, da war die neue Online-Zeitung der kubanischen Bloggerin Yoani Sánchez auch schon gehackt: wer in Kuba die oppositionelle Publikation aufrufen wollte, landete auf einer Seite mit Verschmähungen der Regimekritikerin.

"Wir haben die Nase voll, dass Yoani Sánchez als Mutter Teresa der Dissidenten präsentiert wird. Sie ist das Maskottchen einer Cybergemeinde, aber hinter ihr stecken wirtschaftliche und politische Interessen", hieß es auf der Seite namens "Yoanislandia", auf die man umgelenkt wurde. Yoanislandia, so erklärte ein regierungsnaher Blogger namens M.H. Lagarde der Nachrichtenagentur AP, gebe es schon lange.

Wer aber einen seiner Artikel gegen Sánchez dort eingestellt habe, wisse er nicht. Dass die Seite nur auf Kuba gehackt wurde und sonst weltweit problemlos zugänglich war, lässt wohl keinen anderen Schluss zu, als dass der kubanische Geheimdienst dahinter steckt. "Dumme Strategie, nichts ist attraktiver als das Verbotene", twitterte Sánchez als Antwort.

Was auf dem Portal steht, das von Madrid aus betreut und von liberal-konservativen Intellektuellen wie Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa unterstützt wird, ist so revolutionär allerdings nicht: eine Reportage aus der Notaufnahme eines staatlichen Krankenhaus, ein Interview mit dem inhaftierten Dissidenten Angel Santisteban, dazwischen Einkaufstipps und der Kinokalender sowie jede Menge Kolumnisten, die ihre kritische Meinung äußern dürfen. Ähnliche und manchmal radikalere Einsichten in Kubas Alltag vermitteln seit Jahren Blogger und Portale wie "Cartasdesdecuba", "Convivencia", "Estado de Sats“, "Cubaprensalibre", oder "Diariodecuba", die auf der Insel aber zum Teil blockiert sind.

Die politische Relevanz dieser virtuellen Medien, die meist von kleineren Grüppchen getragen werden, ist noch offen. Die Regierung hat stets behauptet, deren politische Strahlkraft sei "nahezu inexistent". Innerhalb der sehr zersplitterten Dissidentenbewegung wurde die Publikation mit gemischten Gefühlen aufgenommen; einige kritisierten Sánchez Narzissismus.

Aus dem radikalen Lager wurde ihr sogar vorgeworfen, eine nützliche Idiotin des Regimes zu sein - weil sie von der Führung als Beleg für eine angebliche Öffnung herangezogen werden könne. Das Portal, das Sánchez zusammen mit ihrem Ehemann Reinaldo Escobar betreut, hat derzeit elf Mitarbeiter und angeblich Ressourcen für ein Jahr, die durch Spenden ausländischer Gönner zusammengekommen sind.

Die digitale Öffnung ist das wohl heikelste und innerhalb der kubanischen Führung umstrittenste Thema des derzeitigen Reformprozesses. Internet entwickelt sich zunehmend zum Schlachtfeld, auf dem sich alle möglichen Akteure tummeln, die im kubanischen Transformationsprozess ein Wörtchen mitreden wollen. Das hat unlängst erst die Zunzuneo-Affäre gezeigt, also die vom US-Geheimdienst als Alternativportal zu Twitter eingerichtete Plattform.

Die kubanische Führung hat zwar nach und nach einige Freiräume geschaffen – so werden derzeit mehr Internetcafés eingerichtet, und demnächst sollen Kubaner auf Smartphones auch ihre Mails abrufen können – aber die Öffnung erfolgt wie auch im wirtschaftlichen Bereich tröpfchenweise und kontrolliert. Staatsfeindliche Propaganda ist weiterhin strafbar – und das schwebt wie ein Damoklesschwert über Bloggern und Internetpublizisten.

Auch für die möglichen Leser gibt es einen großen Hemmschuh: den Preis. Eine Stunde Internet kostet bis zu fünf US-Dollar und damit ein Viertel eines kubanischen Monatslohns. Sánchez hofft auf altbekannte Verbreitungsmechanismen wie Mail, Sms oder den Austausch von USB-Sticks und bietet ihre Publikation auch in Pdf-Form an. Bei einer Stippvisite am Mittwoch in einem Internetcafé in Havanna fand AP allerdings keinen einzigen Kubaner, der sich "14ymedio" anschaute.  (Sandra Weiss, DER STANDARD, 23.5.2014)