Wien - Die Fahrt mit der Liliputbahn durch den Wiener Prater hat seit kurzem echten Sightseeing-Charakter. Dort, wo die Bahn eine Schleife macht, um zum Ausgangspunkt zurückzukehren, bekommen Touristen nun lange das größte Stadion des Landes vor Augen geführt. Spanische Gäste mögen sich daran mehr erfreuen als deutsche, und an Fernando Torres denken, der damals, am 29. Juni 2008, das einzige Tor im Fußball-EM-Finale erzielte.
In Wien gibt es etliche, die weniger erfreut sind. Beim Vienna City Marathon im April wurde einer breiten Masse erstmals bewusst, dass man von der Hauptallee, noch vor der großen Kreuzung mit der Stadionallee respektive Meiereistraße, plötzlich recht ungehindert zum Stadion blicken kann. Die Liliputbahn, die an dieser Stelle vor kurzem noch gleichsam durch einen Wald fuhr, fährt nun praktisch im Freien. Und ein ehemaliger Waldweg, auf dem Jogger früher die Hauptallee umgehen konnten, führt nun einen zwei Meter hohen einbetonierten Zaun entlang.
Nebenan, auf dem Gelände, das früher der Bank Austria und ihren sportbegeisterten Mitarbeitern diente, ist der Rugbyverein Union Donau Wien eingezogen und errichtet dort derzeit ein Rugbyfeld. Diesem Feld in unmittelbarer Nähe der Hauptallee sind, bestätigt Sportstadtrat Christian Oxonitsch dem Standard, 101 Bäume gewichen - neben vielen kleinen und größeren Sträuchern.
Zwei Bescheide
Den ersten Rodungsbescheid, der mit Anfang Juni 2011 datiert ist, hatte das Wiener Sportamt (MA 51) erwirkt, er betraf 56 Bäume. Nach mittelgroßer Aufregung in sozialen Medien und einer Geschichte in der Gratistageszeitung Heute dauerte es mehr als zwei Jahre bis zum nächsten Bescheid. Diesen erwirkte bereits der neue Pächter des Geländes, die Sportunion als Dachverband des RC Donau. Nach Genehmigung des zuständigen Bezirksamts Wien-Leopoldstadt (1020) wurden weitere 45 Bäume gefällt.
Seitens des Stadtgartenamts (MA 42) legt man darauf Wert, mit den Rodungsbescheiden "gar nichts zu tun" zu haben. Das Stadtgartenamt sei zwar für den Grünen Prater, nicht aber für die sportgewidmeten Praterflächen zuständig. Allerdings ist leise Kritik aus der MA 42 zu vernehmen. Es sei "immer zu hinterfragen, wenn Bäume gefällt werden". Im Sportamt verweist man auf die sogenannten "Nachsetzungen", die verpflichtend sind. Jeder gefällte Baum müsse, je nach seiner Güte, ersetzt werden, für besonders wertvolle Bäume seien bis zu zehn neue Bäume zu setzen.
Unter den 101 gefällten Bäumen waren, wie Untersuchungen ergaben, etliche relativ wertvoll, ergo sind Nachsetzungen von 179 Bäumen fällig. Nachgesetzt wird teils im Prater und laut Sportamt jedenfalls "im Gebiet des Bezirks", etwa auch "beim Nordbahnhof". Uschi Lichtenegger, Obfrau der Grünen Wien-Leopoldstadt, ist "gegen die Ausdünnung des Praters" und beschwert sich, weil sie "immer erst im Nachhinein" von Rodungen erfahre. Nach einem Gutachten durch das Stadtgartenamt und der Festlegung von Nachsetzungen genüge nämlich die Unterschrift des Bezirksvorstehers oder, wie in diesem Fall, zweier Bezirksvorsteher. Gerhard Kubik, der den ersten Bescheid unterzeichnete, wurde vor eineinhalb Jahren von seinem SPÖ-Kollegen Karlheinz Hora abgelöst.
Drei Herrenteams
Mag sein, der grüne Protest wäre früher, zu Oppositionszeiten, vehementer ausgefallen. Die Rugbyspieler jedenfalls sind, wie der Standard berichtete, glücklich, bald und endlich wieder über eine Heimstätte zu verfügen. Zuletzt wurde im Training improvisiert, und die Heimspielstätte des RC Donau lag in Strebersdorf. Rugby ist ein sympathischer und boomender Sport, die RU Donau der erfolgreichste Verein im Land. Er stellt drei Herrenteams (Piraten, Matrosen, Korsaren), von denen eines (Piraten) auch Europacup spielt, sowie mehrere Nachwuchsmannschaften und zwei Damenteams. Auf die Nachwuchspflege wird besonders viel Wert gelegt - kaum in den Prater übersiedelt, hat der RC Donau bereits diverse Schulen in der Umgebung kontaktiert.
Eine Odyssee
Die Odyssee der Rugbyspieler hat, wenn schon nicht bei Maria Theresia, so doch in Schönbrunn begonnen, wo jenes Union-Sportzentrum, das Rugbyspieler und Turner beherbergte, Ende 2012 geschlossen wurde. Es hieß, das Areal werde dringend für neue Schönbrunn-Parkplätze benötigt. Den (meist jugendlichen) Turnern wurde Ersatz im weit entfernten Dusika-Stadion sowie im öffentlich schwer erreichbaren Tenniszentrum La Ville (1230 Wien) angeboten. Bürgerinitiative und Protestaktionen waren die Folge, die Volksanwaltschaft hielt "schwerwiegende Verfahrensmängel" fest. Dass bis heute die "dringend benötigten" Parkplätze nicht geschaffen wurden, sondern die Fläche noch immer brachliegt, verwundert umso mehr.
Ob sich im Prater ein Rugbyfeld ausgeht, das auch internationalen Ansprüchen gerecht wird, war zunächst offen. Der Platz ist eng bemessen, auch angesichts des Zauns stellte sich die Frage, ob ausreichend Auslauf geboten und den Sicherheitsstandards des IRB (International Rugby Board) Genüge getan wird. Dem Vernehmen nach liegt eine Genehmigung des österreichischen Verbands (ÖRV) vor, demnach könnte im Prater neben Liga auch Europacup gespielt werden. Partien des Nationalteams finden weiterhin auf der Hohen Warte statt.
Einem um den Prater besorgten Bürger, der sich an Bürgermeister Michael Häupl wandte, hatte Sportstadtrat Oxonitsch in einer E-Mail-Nachricht noch Anfang 2012 versichert, es werde aus Mangel an Platz im Prater garantiert kein Rugbyplatz entstehen. Auch sei der erste Rodungsbescheid (57 Bäume) "ausschließlich aus Sicherheitsgründen" erwirkt worden. "Die Baumfällungen haben mit einer vom neuen Pächter der Anlage, der Sportunion Wien, beabsichtigten Neuausrichtung der Sportanlagen nichts zu tun."
Mittlerweile nimmt auch das Sportamt die Neuausrichtung zur Kenntnis. Diese habe sich freilich erst durch den zweiten Rodungsbescheid ergeben. Den Bürger, der vor mehr als zwei Jahren dem Bürgermeister schrieb, kann diese Auskunft natürlich nicht beruhigen. "Die Stadt Wien", so sah und so sieht er es, "zerstört jedes Jahr weitere Flächen im Prater." (Fritz Neumann, DER STANDARD, 23.5.2014)

Die zwei schönen großen Pappeln sollten eigentlich stehen bleiben. Doch letztlich standen auch sie dem neuen Rugbyfeld im Weg.

Von der Liliputbahn, die früher durch den Wald fuhr, blickt man jetzt ungehindert zum Happel-Stadion.

Ein ehemaliger Waldweg führt nun den Zaun entlang.