Ist Stein die kleine Welt, in der Österreich seine Probe hält? Muss wirklich erst Verwesungsgeruch die föderalistischen Fluren der Heimat durchwehen, ehe im Gleichgewicht des reformatorischen Zurückschreckens, Koalition genannt, eine Veränderung zum Besseren eintreten kann? An Vorschlägen, wie dem Verfaulen Einhalt zu gebieten wäre, fehlt es nicht. Statt sie längst aufgegriffen zu haben, wurde nun ein neues Regierungsamt zur Reform der Verwaltung gegründet, weil der Rechnungshof nicht gut genug ist, und irgendwo müssen dessen Anregungen ja standesgemäß verschimmeln.

Der Bundespräsident hat dieser Tage in der Kleinen Zeitung eines der Übel beim Namen genannt, als er von einer - verfassungsmäßig durch nichts gerechtfertigten - Übermacht der Bundesländer sprach und für eine neue Verfassung zum hundertsten Geburtstag der Republik plädierte. Mehr hat er nicht gebraucht. Während die Bundespolitik den Schwanz einzog, zogen die Landeshauptleute vom Leder, allen voran - natürlich - der Despot von St. Pölten, der seine Volksnähe auch schon einmal bewiesen hat, als er einen Vorstand der Finanzmarktaufsicht coram publico zusammenschrie und einer "Sauerei" bezichtigte, weil man es gewagt hatte, ein Auge auf die Hypo Niederösterreich zu werfen - zu Recht übrigens.

Es bildet ein Talent sich zwar in der Stille, aber wenn so viel angewandter Föderalismus den Anwender nicht zu noch Höherem befähigen sollte, hilft nur noch das Absingen von Kommunionsliedern während der Sitzungen des niederösterreichischen Landtags. Und auf eine zeitgemäße Verfassung bis 2018 braucht niemand zu hoffen unter einer Obrigkeit, die nicht einmal die Grunderwerbsteuer sachgemäß zu reparieren imstande ist und Amtsverschwiegenheit am liebsten als Österreichs Antwort auf die NSA verkaufen würde, um sie, nur leicht umfrisiert, prolongieren zu können.

Unter diesen Umständen finden am Sonntag die EU-Wahlen statt. Von der Wahlauseinandersetzung und der Rolle, die die Parteien und ihre Kandidaten darin spielten, lässt sich am besten sagen: Gut, dass sie vorbei ist. Jahrelange Versäumnisse, den Menschen die Bedeutung der Europäischen Union und ihre Vorteile sachlich, wenn auch durchaus kritisch nahezubringen, können nicht in wenigen Wochen wettgemacht werden. Dementsprechend gibt es kein Anzeichen dafür, dass sich an der Ratlosigkeit vieler Bürgerinnen und Bürger oder an mehr oder weniger dumpfen Vorurteilen Wesentliches geändert hätte.

Dafür ist die Regierung verantwortlich zu machen. Wessen Aufgabe sonst wäre es gewesen, dem Populismus des heimischen Ablegers der europäischen Rassisten wirksam entgegenzutreten? SPÖ und ÖVP werden daher nicht nur an den Ergebnissen zu bewerten sein, die sie selber einfahren, sondern auch am Ausmaß der Wahlenthaltung und am Ergebnis der FPÖ. Eigene Verluste werden koalitionär leichter zu verkraften sein, wenn sich an der Reihung nichts ändert. Fällt die ÖVP hinter die SPÖ, ist Spindeleggers Ende schon ausgelobt. Dann müsste die SPÖ, analog zur EU, wohl auf dem Kommissar bestehen, will sie nicht ihr Gesicht gänzlich verlieren. (Günter Traxler, DER STANDARD, 23.5.2014)