
"Es braucht definitiv mehr junge Abgeordnete", sagt Elisabeth Gehrke über das EU-Parlament.
Elisabeth Gehrke wurde kürzlich zur Präsidentin der European Students’ Union (ESU) gewählt. Die ESU ist die Dachorganisation europäischer Studierendenvertretungen, in der auch die Österreichische Hochschülerschaft (ÖH) Mitglied ist. Gehrke will in ihrer neuen Funktion dafür eintreten, dass „Bildung wieder als öffentliches Gut“ angesehen wird und für die bessere Finanzierung der Hochschulen. Für die EU-Wahl wünscht sie sich „mehr junge Abgeordnete“ und mehr Abgeordnete aus „unterrepräsentierten Gruppen“. Oona Kroisleitner und Selina Thaler trafen die Schwedin beim ESU-Board-Meeting in Wien.
derStandard.at: Sie wurden eben zur Präsidentin der ESU gewählt. Was werden Sie im kommenden Jahr angehen?
Gehrke: Durch die kommenden Europawahlen wird es auch neue Parlamentarier geben. Ebenfalls wird kommenden Frühling eine Ministerkonferenz der EU stattfinden, wo sich die Bildungsminister Europas treffen und ihre Agenda für die nächsten Jahre festlegen. Für uns ist es wichtig, dass unsere Maßnahmen nicht nur gehört, sondern auch eingebaut werden. Wir wollen auch alle neuen Abgeordneten von unserer Perspektive der Hochschulbildung überzeugen.
derStandard.at: Welche Perspektiven sind das?
Gehrke: Es gibt viele Probleme. Wofür wir uns immer einsetzen ist, dass Bildung ein öffentliches Gut sein sollte, also öffentlich finanziert wird, und in politischer Verantwortung steht.
derStandard.at: Was bedeutet das für Sie?
Gehrke: Das bedeutet, dass die regierenden Strukturen die akademischen widerspiegeln müssen. Wir sollten gemeinsam die Verantwortung für Höhere Bildung, deren Institutionen und für die Rolle, die sie in der Gesellschaft spielt, übernehmen.
derStandard.at: Derzeit wird allerdings in den meisten Ländern in der Bildung gespart...
Gehrke: Wenn wir nationale Delegierte treffen, argumentieren wir gegen die Kürzungen. Ein großer Teil unserer Arbeit liegt darin, die Mitglieder der ESU, also die lokalen Vertretungen dabei zu unterstützen, gegen die Kürzungen aufzutreten. Die Einsparungen werden oft als Notwendigkeit angeführt, doch aus unserer Sicht ist das eine Frage der politischen Prioritäten. Es geht darum, Langzeitfolgen zu bedenken und den Blick so zu verändern, dass Bildung nicht etwas ist, bei dem gespart wird, sondern etwas das unterstützt werden soll. Etwas für die Zukunft.
derStandard.at: Welche Forderungen hat die ESU für die Europawahlen?
Gehrke: Die Europäische Kommission hat Fortschritte gemacht. Es gab in den letzten Jahren verschiedene Richtlinien und Initiativen, was Bildung betrifft. Leider ist es aber so, dass die Parlamentarier oft Verantwortung für die Maßnahmensetzung übernehmen. Die Vorschläge der Kommission müssen aber auch vom Gerichtshof und dem Parlament übernommen werden. Daher ist es für uns wichtig, dass die Parlamentarier unsere Anliegen verstehen und die Richtlinien auch so umsetzen.
derStandard.at: Was ist die Hauptkritik an der europäischen Hochschulpolitik?
Gehrke: Wir wollen, dass die EU die Mitgliedsländer nicht dazu drängt, schnelle Entscheidungen zu treffen, sondern dass sie Langzeitfolgen mitdenken. Einerseits sagt die EU, man muss in Bildung investieren und andererseits fordern sie Kürzungen vor allem in den Ländern, die den Sparmaßnahmen unterliegen.
derStandard.at: Welche Rolle spielen die nationalen Regierungen dabei?
Gehrke: Bildung liegt in der Verantwortung der Mitgliedsländer. Die EU hat hier keine Gesetzgebungskraft, sondern ist mehr Soft-Law orientiert. Sie hat jedoch sehr viel Einfluss. Das wichtige ist, dass das Land in die Umsetzung der Richtlinien eingebunden ist. Ein Beispiel ist die Umsetzung des Bologna-Prozesses oder des einheitlichen Europäischen Hochschulraums.
derStandard.at: Sind die nationalen Regierungen genug in diesen Prozess eingebunden?
Gehrke: Es gibt eine Kluft zwischen der Stärke des Engagements in den letzten Jahren – speziell beim Bologna-Prozess. Die Länder haben den Zielen zugestimmt, aber im Endeffekt nur die Sachen umgesetzt, die ihnen gefielen und haben dann nicht mehr aufgeholt. Derzeit gibt es die Diskussion, den Bologna-Prozess zu erneuern, nämlich so, dass die Länder mehr eingebunden sind. Ich denke, dass die Länder in puncto Erneuerung aufgewacht sind.
derStandard.at: Was sollte beim Bologna-Prozesses etwa erneuert werden?
Gehrke: Wir befürchten, dass die Länder nur das umsetzten, was sie wollen. Ist etwas unbeliebt, geben sie dem Bologna-Prozess die Schuld. Wir haben derzeit keine wirklichen Strukturen, um die Länder zu fördern oder auch Konsequenzen zu ziehen, wenn sie etwas nicht umsetzen.
derStandard.at: Eines der Ziele des Bologna-Prozesses, das in Österreich auch bei den EU Wahlen Thema ist, ist die Studierenden-Mobilität...
Gehrke: Es wurden Schritte gemacht, um die Studierenden-Mobilität in Europa voranzutreiben. Es gab einige Initiativen wie die Erasmus-Programme, aber es fehlen definitiv noch Punkte. Beispielsweise eine Richtlinie für Visa. Vor allem Studierende, die aus Drittländern kommen,haben hier große Schwierigkeiten.
derStandard.at: In Österreich gibt es keine allgemeinen Studiengebühren oder Zugangsregelungen. Braucht es Ausgleichszahlungen?
Gehrke: Sogar die OECD sagt, dass die meisten Länder mit den Studierenden, die in ein Land kommen, Geld machen. Die Forderung nach Ausgleichszahlungen ist also schwach, denn im Endeffekt macht das Land Geld mit ihnen.
derStandard.at: Ihr Heimatland Schweden wird oft für sein Bildungssystem gepriesen. Was kann die EU in puncto Hochschulbildung lernen?
Gehrke: Ich glaube, dass Schweden etwas unfair gepriesen wird. Vieles hat damit zu tun, dass vor 20 bis 30 Jahren weise Entscheidungen getroffen wurden und wir nun davon profitieren. Man hat Bildung also in einer langen Zeitspanne gedacht. Derzeit wird in der EU in puncto Bildung viel über die Rolle der Bildung für den Arbeitsmarkt nachgedacht, aber nicht generell über die Beziehung welche Gesellschaft man bilden möchte, welche Konsequenzen das für das Wohlfahrtsystem hat. Wenn es um die individuelle Entwicklung geht, geht es nicht nur um die Fähigkeiten, sondern um die Rolle als Bürger in der Gesellschaft. Das muss man auch auf europäischer Ebene austragen. Das Problem ist, dass man Bildung in zu kurzen Abständen denkt.
derStandard.at: Die ESU vereint nationale Studierendenvertretung. Was können diese von einander lernen?
Gehrke: Das Interessante an den Studierendenvertretungen ist, dass sie alle Großteils die gleichen Werte und Arbeitsbereiche haben, aber sie trotzdem sehr unterschiedlich sind. Sie spiegeln sehr oft die nationalen Systeme und Strukturen wider. Die schwedische Studierendenvertretung etwa ist PR-orientiert, während sich andere wiederum mehr dem politischen Engagement widmen. Ich glaube es ist eine gute Vertretung in ihrem Kontext, aber sie würde so nicht in allen Ländern funktionieren. Es gibt kein Modell, das für alle passt.
derStandard.at: Stichwort Europawahlen: Die ESU kampagnisiert „Vote for Education“. Warum ist es wichtig für junge Leute, wählen zu gehen?
Gehrke: Es ist wichtig, dass das Ergebnis der Wahlen die Bürger im Ganzen reflektiert. Studierende sind darum wichtig, weil sie bis jetzt immer unterrepräsentiert waren und es immer noch sind.
derStandard.at: Sollte es mehr junge Abgeordnete im Europaparlament geben?
Gehrke: Das Parlament sollte alle Bürger repräsentieren, daher bräuchte es definitiv mehr junge Abgeordnete. Aber auch genauso Delegierte von unterrepräsentierten Gruppen. Die Abgeordneten sind eine Gruppe aus weißen, älteren Männern aus hoher bis mittlerer Schicht. Das muss geändert werden, wenn wir Richtlinien wollen, die im Interesse der gesamten Union stehen sollen.
derStandard.at: Was kann die ESU für Studierende aus diesen Gruppen tun?
Gehrke: Wir arbeiten in der Social-Dimension Ebene, die Teil des Bologna-Prozesses ist. Eines unserer Ziele für die kommende Ministerkonferenz ist, sicherzustellen, dass die Länder hier nationale Strategien umsetzen. Auch in Ländern, die glauben, sie hätten bereits alles getan. Diese reflektieren oft nicht, dass etwa Studierende mit niedrigem sozioökonomischen Hintergrund immer noch unterrepräsentiert sind. (Oona Kroisleitner, Selina Thaler, derStandard.at, 24.5.2014)