Wien - Es bedarf nicht falsch konfigurierter Züge wie in Frankreich, um ein Eisenbahnsystem zu behindern oder zum Stillstand zu bringen. Die herkömmlichen technischen Vorschriften der Nationalstaaten und ihrer Staatsbahnen reichen völlig, um den Schienenverkehr im Binnenmarkt auszubremsen.

Den Rest an Bremsklötzen besorgt der Streit um die weitere Öffnung der Märkte, der von den EU-Erweiterungsländern im Osten teils mit Inbrunst geführt (sie erwarten von Liberalisierung Wettbewerb und Investitionen) und von Gegnern wie Frankreich und Italien erbittert bekämpft wird. Letztere suchen so ihre Bahnindustrie ebenso zu schützen wie ihre staatlichen Eisenbahnunternehmen (EVU). Wiewohl der Weg zur Harmonisierung mit inzwischen drei Eisenbahnpaketen gepflastert ist: Ein Ziel ist nicht in Sicht, nicht einmal Kompromisse auf dem Weg zum mittlerweile vierten Eisenbahnpaket.

"Die drei technischen Pakete dürfen nicht länger an weitere Liberalisierung gekoppelt werden", mahnt die scheidende EU-Mandatarin Eva Lichtenberger von den Grünen. "Hauptfeind der Bahn sind die Gigaliner auf der Straße. Auf sie müssen sich die Bahngesellschaften konzentrieren, statt einander gegenseitig zu behindern." Auch Großprojekte sollten angesichts leerer Kassen zurückgestellt und stattdessen innerstädtische Bahnverbindungen in Ballungsräumen verbessert werden, für Güter- wie Personenverkehr.

Herkulesaufgabe technische Pakete

Die technischen Pakete allein sind freilich Herkulesaufgabe genug, ist das Bahn-Europa doch historisch bedingt bei Traktionssystemen ein Fleckerlteppich. Umspannen an der Grenze ist ohne Mehrsystemloks, die unterschiedliche Frequenzen wie in Tschechien und Österreich beherrschen, aktuell wie vor 60 Jahren (siehe Grafik). Diesbezüglich ist die ÖBB relativ flexibel, ein Teil ihrer Triebfahrzeuge kann das Schienennetz Tschechiens und Deutschlands ebenso befahren wie das italienische.

Unterschiedliche Geschwindigkeiten prägen Europa nicht nur bei Traktionsenergie, sondern auch beim Fuhrpark. In Italien musste bis vor kurzem jede einzelne fremdländische Lok von der nationalen Eisenbahnbehörde zertifiziert und zum Verkehr zugelassen werden, nicht nur jeder Fahrzeugtyp. Das kostet die EVU viel Geld - und wirke prohibitiv, wie Verkehrsexpertin Lichtenberger kritisiert, weil Konkurrenz vom Markt ferngehalten, verdrängt werde, wovon die (Ex-)Monopolisten profitieren.

Hürden wie diese will die EU-Kommission über die Europäische Eisenbahnagentur (ERA) wegräumen, kommt aber nur in Trippelschritten voran. Auswählen eines Stromversorgers, der nicht identisch ist mit dem Schienennetzbetreiber? Fehlanzeige. In Österreich prüft Regulator Schienen Control gerade erst, wie ein "angemessener Kostenersatz" und ein "branchenübliches Entgelt" für die Nutzung des ÖBB-Stromnetzes und die Umwandlung von Grid-Strom in Bahnstrom aussehen kann. Derzeit kommen Westbahn und private Güterbahnen um ÖBB-Strom nicht herum. Die Probleme sind ähnlich wie bei den Energieversorgern, die die Netzgebühren möglichst hoch halten wollen. Es geht um viel Geld.  (Luise Ungerboeck, DER STANDARD, 24.5.2014)