Zerschossene, zerbombte Bauwerke zeugten noch von den Nato-Luftangriffen im Jahr 1999. Über Belgrad lag bei meinem ersten Besuch einige Jahre später noch der Schatten des Krieges. Als einer von noch wenigen Touristen glaubte ich noch eine kriegsbedingte Zurückgezogenheit, eine scheue Distanz gegenüber Fremden zu verspüren.

Sinnbildlich für den melancholischen Schleier, den ich wahrzunehmen glaubte, blieb mir eine ältere Dame in Erinnerung. Sie sprach mich an, als ich mich auf einer Bank nahe dem Kalmegdan-Park von den Stadtwanderungen ausruhte. Sie wollte mir Jugoslawien-Memorabilien für wenige Cent verkaufen. Dennoch vermittelte sie nicht den Eindruck einer Straßenverkäuferin. Sie sprach Englisch und Französisch, aus ihrem Auftreten sprachen Stil und Bildung. Merkbar unangenehm war es ihr, mir ihren Tand anbieten zu müssen, entsprechend zögerlich ging sie vor. Die Erkenntnis, dass sie wohl neu in dem Geschäft sei, rührte mich zutiefst.

Die Belgrader Straßenverkäuferin, sie war ein Fenster raus aus meinem wohlstandsvernebelten Europa. Der Kontrast, den sie in jenem Moment verkörperte, machte klar, dass auch hier nichts selbstverständlich sei. Weder der Wohlstand, den wir haben, noch das soziale Gefüge, in das wir gepresst werden. (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 24.5.2014)