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"Paneuropa" hat eine Adresse - zum Beispiel in Wien in einem Büro der von Richard Coudenhove- Kalergi 1922 unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs initiierten "Paneuropa-Union".

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"Blättern Sie weiter, wir schreiben über die EU": Blau.

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Wir schreiben jetzt über die EU. Blättern Sie um, klicken Sie weiter. Nicht einmal Schreckensmeldungen zur EU interessieren noch. Die Begründungskette für das Scheitern Europas ist längst etabliert: Angeblich scheitert Europa an seiner transnationalen Währung, der keine transnationale Regierung gegenübersteht. Es scheitert an seinem Demokratiedefizit und am Fehlen einer paneuropäischen Öffentlichkeit, ohne die keine paneuropäische Identität entstehen kann.

Ohne paneuropäische Identität wächst auch keine Bereitschaft in den reichen Mitgliedstaaten, Einbußen zugunsten schwächerer EU-Mitglieder hinzunehmen. Kurz: Europa gibt es eigentlich gar nicht. Das Wort Europa wird in diesen Tagen wieder auf seine geografische Bedeutung zurückgestutzt. Ein altes Muster. Als Fürst Metternich im 19. Jahrhundert die Einigung Italiens verhindern wollte, sagte er auch, Italien sei doch lediglich ein geografischer Begriff.

Europa fehlt aber nicht nur die paneuropäische Mediensphäre, die eine Gegenöffentlichkeit zum anwachsenden Nationalismus bilden könnte. Das kleine bisschen transnationaler Mediensphäre, das Europa bereits hat, wird auch noch von englischsprachigen Medien aus Großbritannien und den USA organisiert.

Journalistische Projekte wie Euronews und Arte mögen zwar interessant sein, Europas Macht-Eliten tragen ihren transnationalen Diskurs jedoch im Economist und der Financial Times aus, im Wall Street Journal, der New York Times und gelegentlich im Guardian. Das europaweit meistgelesene Online-Medium heißt BBC.

Der Journalismus dieser Medienhäuser ist exzellent, aber es hilft Europa nicht weiter, wenn die internationale Wahrnehmung der EU, ob in Fragen der Euro-Krise oder des drohenden Kriegs in der Ukraine, im Wesentlichen von US-Medien geprägt wird oder von britischen Redaktionen, die sich nicht als europäisch begreifen.

Ein Missverständnis auf dem Kontinent ist ja, Großbritannien empfinde sich zwar als ein Teil Europas, erwäge nun aber, aus der EU auszutreten. Es ist umgekehrt. Konsens in Großbritannien und den meisten britischen Redaktionen ist, dass das Land nicht Teil Europas ist und es auch nie war, aber eventuell trotzdem EU-Mitglied bleiben könnte.

Zwischendurch nehmen britische und amerikanische Medien auch wohlwollende Positionen gegenüber der EU und sogar dem Euro ein, bei der Suche nach einer europäischen Identität, einem Narrativ, der parallel zu Europas nationalstaatlichen und regionalen Identitäten existieren könnte, ist von angelsächsischen Medien aber kaum Hilfe zu erwarten.

"Dann macht's euch doch selber!", würden robustere britische Kollegen zu solchen Beschwerden sagen, und sie haben Recht. Warum eigentlich nicht? Was hindert die journalistischen Marktführer der 27 anderen Mitgliedsstaaten daran, zu wagen, was kanadische, amerikanische und britische Medienhäuser auf dem europäischen Kontinent längst wagen?

Die kanadische Website VICE betreibt in vierzehn EU-Staaten regionale Ausgaben, die amerikanische Huffington Post ist in fünf, Buzzfeed.com bereits in drei EU-Staaten vertreten. Die New York Times hat ihren International Herald Tribune als International New York Times neu gestartet und bewirbt die Zeitung europaweit.

Der britische Economist ist meistgekauftes ausländisches Printprodukt an Deutschlands Bahnhofskiosken und verkauft in Kontinentaleuropa durchschnittlich 245.000 Exemplare. Der Guardian hat noch keine europäischen Expansionspläne, beobachtet aber, dass die Zahl seiner "Unique Browsers" vom europäischen Kontinent im letzten Jahr um 25 Prozent gewachsen ist.

Im globalen Ranking des Marktforschers Comscore kommen von den 25 weltweit meistgelesenen Nachrichtensites elf aus den USA, elf aus China und drei aus Großbritannien. Kontinentaleuropa ist zwar der weltweit stärkste Wirtschaftsraum, hat aber keine starke journalistische Stimme, die - jenseits der Presseschauen - international oder auch nur innerhalb Europas wahrgenommen wird.

Weshalb nicht? Die Liste der strukturellen Hindernisse ist rasch erzählt. Es ist lukrativer, ein journalistisches Startup in den USA zu gründen, wo nicht nur ein einheitlicher Sprachraum, sondern auch ein kontinentaler Werbemarkt existieren. Es gibt dagegen kaum Werbekunden, die bereits paneuropäische Kampagnen buchen möchten.

Dass angelsächsische Medien trotzdem in Europa investieren, ist nur als Teil ihrer globalen Strategien verständlich. Europa ist für sie Nebenschauplatz. Dennoch dürften die europaweiten Netzwerke aus lokalen Redaktionen und Verkaufsteams, die Huffington Post, Buzzfeed und Vice gerade errichten, den traditionellen Korrespondenten-Netzen europäischer Zeitungen bald überlegen sein.

Vielleicht steht den traditionsreichen Medienhäusern Europas auch noch die eigene Redaktionskultur im Weg. Den meisten Zeitungshäusern fällt es nicht nur schwer, Redaktionen zu rekrutieren, die nur annähernd die ethnische Zusammensetzung ihrer Heimatmärkte widerspiegeln, sie sind auch journalistisch übermäßig in den Nationalstaat und die Innenpolitik investiert, trotz deren schwindender Gestaltungsfähigkeit.

Selbst in ihrer Namensgebung haben sich Zeitungen in aller Welt oft als synonym mit dem Nationalstaat präsentiert, seien es Neugründungen wie die Zeitung Österreich oder ältere Marken wie La Repubblica und El País oder La Nación. Das Markenversprechen der auf dem Kontinent meistverkauften Tageszeitung Bild ließe sich auch zusammenfassen als "Wir sind Deutschland. Alle anderen schreiben nur darüber." Der Weg zum europäischen Medium ist von hier aus weiter als von New York.

"Macht's euch doch selber" könnte also bedeuten, dass die europäische Mediensphäre eher aus Netzwerken lokaler Startups enstehen wird, als aus Kooperationen journalistisch starker, aber zu traditionsreicher Medienhäuser. Und nirgends wird schon jetzt so viel über Grenzen hinweg diskutiert wie in der bedeutendsten Mediensphäre unserer Zeit, den sozialen Netzwerken. (Wolfgang Blau, DER STANDARD, 24./25.5.2014)