László Tökés ist für viele Menschen in seiner Heimat Rumänien ein Held. Im westlichen Teil der Union hingegen ist der Name dieses Pfarrers fast in Vergessenheit geraten. Seine Predigten für Freiheit und Menschenwürde und gegen das autoritäre Regime von Nicolae Ceausescu haben im Herbst 1989 den Aufstand von Temesvar und in der Folge den Sturz des Diktators ausgelöst.

"Mein Leben und meine politische Geschichte spiegelt, so gesehen, ein bisschen die Veränderungen in Europa", sagte Tökés im Standard-Gespräch, zu dem er in sein Büro im Europäischen Parlament in Straßburg gebeten hat, doppeldeutig. Aber auch die Zerrissenheit im Wandlungsprozess.

Vor der EU-Erweiterung nach Osten habe es auf beiden Seiten eine gewisse Begeisterung gegeben. Inzwischen sei das Interesse stark abgeflaut, sagt er.

Tökés gehört der reformierten Kirche an - und ist EU-Abgeordneter. Er trat gleich nach dem Beitritt seines Landes zur Union 2007 als Unabhängiger bei der Wahl an, bekam ein Mandat, schloss sich erst der grünen Fraktion im Europaparlament an, wechselte dann zur Europäischen Volkspartei. Er habe inzwischen eine ernüchternde Erfahrung gemacht, erklärt er, kann beredt darüber Auskunft geben, was sich in der EU fast 25 Jahre nach den Umbrüchen in Osteuropa und ein Jahrzehnt nach den EU-Beitritten der Länder dieser Region eben nicht verändert habe: mental, sozial, aber auch in den Strukturen existiere die Teilung Europas nach wie vor.

Tökés: "In den Köpfen gibt es noch den Eisernen Vorhang", man könne "von einer virtuellen Berliner Mauer sprechen", die die Völker nach wie vor voneinander trenne. Er klingt sehr traurig, wehmütig, wenn er schildert, wie sich die Lage seines Landes seit dem EU-Beitritt 2007 entwickelt hat bzw. wie sich die Partner in den "alten" EU-Staaten gegenüber den Osteuropäern verhalten. "Es gibt eine gewisse Ignoranz für die Probleme." Die westlichen Staaten sollten viel mehr und genauer hinschauen auf die ehemaligen kommunistischen Länder, die den Übergang zu den geforderten Standards nicht so schaffen könnten, wie man sich das bei den EU-Vertragsverhandlungen vorgestellt habe.

"In gewisser Weise wurden die Beitrittsländer in die Irre geführt, als man ihnen sagte, sie hätten alle Kriterien für den Beitritt zur Union erfüllt", glaubt Tökés. Formal möge das richtig gewesen sein. Die Wahrheit sei aber, dass dies in der geforderten Geschwindigkeit gar nicht möglich gewesen sei. Erziehung und Mentalitäten, die das kommunistische Regime den Menschen jahrzehntelang aufgezwungen habe, seien nicht so leicht zu überwinden. Aber davon habe man sich im Westen nie wirklich ein Bild machen wollen. Die aktuelle Wirtschaftskrise tue ein Übriges. Die EU-Staaten seien seit 2008 ganz auf sich selbst und ihre eigenen Probleme konzentriert. Woran es insgesamt mangle, sei ein tieferer geistiger Zugang zu den Menschen. Es reiche eben nicht aus, wenn man sich nur ökonomisch und formal um die EU-Integration kümmere, sagt Tökés - ganz Seelsorger. Auch das sei ein Unterschied: Im Osten sei die Kirche lange Zeit Hüterin der Menschenrechte gewesen. (Thomas Mayer aus Brüssel, DER STANDARD, 24.5.2014)