Die LEDs in Solar Roadways sind flexibel programmierbar und können an die jeweilige Verkehrssituation angepasst werden.

Rendering: Sam Cornett/Solar Roadways

Nach mehreren Jahren der Entwicklung haben Julie und Scott Brusaw einen Solar-Roadways-Prototypen vor ihrem Haus im US-Bundesstaat Idaho installiert.

Foto: Solar Roadways

Die Panels können einzeln angesteuert und zum Frostschutz aufgeheizt werden.

Die Geschichte der befestigten Straße ist eine Geschichte voller Schwierigkeiten. Die Pflasterung als früheste Form des Oberbaus ist beim Befahren laut, ein Geschwindigkeitshemmer und der erklärte Feind jeder Achse. Betondecken sind teuer in der Herstellung und bergen bei Regen erhöhte Rutschgefahr. Asphalt als verbreitetster Belag muss witterungsbedingt wegen Rissen und Spurrillen häufig schon nach wenigen Jahren saniert werden. Das Resultat ist oft ein ungestalter Fleckenteppich.

Ein weiterer Nachteil, den herkömmlichen Belagsarten gemeinsam haben: Sie erzeugen keinen Strom. Genau das versprechen die Erfinder von Solar Roadways. Die befahrbare Deckschicht generiert durch Solarmodule laufend Energie aus Sonnenkraft. Die sechseckigen Bausteine werden laut den Entwicklern aus einem ähnlichen Material wie die Blackboxes von Flugzeugen gefertigt und sollen auch Schwerverkehr stabil tragen. Die Vorteile, die sich aus der revolutionären Idee des US-amerikanischen Ehepaars Scott und Julie Brusaw ableiten lassen, lesen sich wie die Vision einer besseren Welt.

Die Straße als Kraftwerk

Bei einem flächendeckenden Ausbau mit den Solarmodulen könnte theoretisch der gesamte Privat- und Nutzverkehr auf Elektroantrieb umgestellt werden. Kein Fahrzeug müsste mehr Schadstoffe ausstoßen. Jede Parkbucht ist eine potenzielle Tankstelle, wodurch das derzeitige Reichweitenproblem der Stromautos mit einem Schlag erloschen wäre.

Die nach Angaben der Erfinder zu einem Gutteil aus Recyclingmaterial hergestellten Elemente verfügen innen über Mikrochips und an der Oberfläche über flexibel programmierbare LED-Leuchten. Deren Funktion als Fahrbahnmarkierung ist nur die naheliegendste. Auch temporäre Baustellenkennzeichnungen müssten nicht mehr aufgeklebt werden. Sie könnten ebenso wunschgemäß per Software angesteuert und ausgegeben werden wie die Trennstreifen beim kurzfristigen Wechsel von Längsparkplätzen auf Schrägparkplätze oder, zum Beispiel bei Nebelgefahr, Warnhinweise und Tempolimits direkt auf der Straße anzeigen.

Spaß mit bunten Lichtern

Die Module mit ihren bunten Lichtern sind nicht nicht nur in der Lage, Fahrbahnen und Gehsteige zu erhellen, sie sollen sich selbst für die Start- und Landebahnen im internationalen Flugbetrieb eignen. Je nach Sportart können Spielfeldmarkierungen variabel auf Hartplätzen eingeblendet oder kann bei Musikfestivals eine ebenerdige Leinwand mit Visuals bespielt werden.

In kälteren Weltgegenden soll die Glasoberfläche der etwa einen halben Meter großen Hexagone auf frostfreie Temperatur erwärmt werden können und somit das Ende von Eis- und Schneefahrbahnen bedeuten. Korrosionsanfällige Fahrzeugteile würden nie wieder Opfer von Streusalz, und Motorrad- und Fahrradfahren wäre ganzjährig nicht mehr gefährlicher als in der warmen Saison. Bedauerlich bloß für die Schneeschaufelhersteller: Ihre Produkte wären nicht länger notwendig, um Gehsteige oder Hauseinfahrten von der weißen Decke zu befreien.

Akutwarnung vor Wildwechsel

Die Technologie der Brusaws ist berührungssensitiv. Hindernisse wie umgeworfene Bäume oder Gesteinsbrocken nach Felsstürzen werden umgehend registriert, ihre punktgenaue Lage wird in Echtzeit an die Verkehrsleitstelle übermittelt. Dasselbe System soll Fahrzeuglenker in der Nacht rechtzeitig vor Wildwechseln warnen.

Die Kabelstränge in den Solar Roadways würden außerdem die bisher separat installierten und oft oberirdisch verlaufenden Starkstromleitungen ersetzen. Beschädigte Solarpanels können einzeln ausgetauscht werden, ohne dass jemals wieder eine Straße aufgerissen und neu betoniert oder asphaltiert werden müsste.

Der größte Stromerzeuger der Welt

All die erzeugte Energie, die nicht für Fahrzeugantrieb und Leuchtdioden genutzt wird, soll wiederum in das reguläre Stromnetz gespeist werden und damit den Einsatz von Kohlekraftwerken, Erdölförderung und allen anderen weniger nachhaltigen Energiequellen stark einschränken – oder gar überflüssig machen.

Denn nach den Berechnungen des Elektrotechnikers Brusaw könnte das Dreifache des derzeitigen Stromverbrauchs der Vereinigten Staaten erzeugt werden, wenn das bundesweite Straßennetz mit Solar Roadways bestückt würde. Die Elemente sollen erst die Investitionen abzahlen und später, mit Abzug der Instandhaltungskosten, nahezu kostenlos Energie erzeugen. Gleichzeitig erwarten sich die Entwickler tausende neue Jobs, die der entstehende Industriezweig erschaffen und erhalten soll.

Solar Roadways wird schon jetzt von der Straßenaufsichtsbehörde der USA unterstützt, und noch bis 31. Mai läuft ein Crowdfunding-Projekt auf Indiegogo, über das auch Privatpersonen die Unternehmung sponsern können. Am Dienstag waren 1,3 Millionen US-Dollar beisammen. Eine Million war das Ziel, um das Konzept bis zur Serienreife zu bringen.

Ein Ende als Utopie

Solar Roadways verspricht nicht weniger als die größte Revolution in Jahrtausenden des Straßenbaus. Die bestehende Verkehrsinfrastruktur müsste nur nach den heute technischen Möglichkeiten nachgerüstet und kein Stück Natur neu bebaut werden. Die herkömmlichen Beläge, auf die tagtäglich Sonne scheint und die, außer befahrbar zu sein, "nichts für niemanden tun", sollen bald der Vergangenheit angehören, sagen Julie und Scott Brusaw.

Arm in Arm wie ein frisch verliebtes Pärchen erzählen sie im Promo-Video von ihrer Idee. Die beiden kennen einander, seit sie drei und vier Jahre alt waren. Selbst wenn alle Vorteile, die sie aufzählen, tatsächlich realisierbar sind und keine gröberen technologischen Nachteile auftreten, klingt die Geschichte von Solar Roadways eine Spur zu perfekt. Vielleicht wäre dann der Haken an der Utopie, dass sie die Existenzgrundlage der Energiewirtschaft gefährdet - und damit einer der mächtigsten Lobbys der Welt. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 27.5.2014)

Scott Brusaw