Paris/Wien - Der französische Ökonom Thomas Piketty ist der Rockstar seiner Zunft. Sein Buch Capital in the 21st Century ist seit Wochen ein Bestseller und bei Amazon unter den drei meistverkauften Büchern auf der US- und der deutschen Website. Piketty wird vom US-Finanzminister genauso wie vom Washingtoner Währungsfonds zu Vorträgen eingeladen. Nobelpreisträger Paul Krugman und Robert Shiller lobten sein Buch in höchsten Tönen.

So viel Furore gelingt einem Ökonomen selten. Pikettys These, dass die Ungleichheit auf der Welt immer weiter zunimmt und gerade die Superreichen immer reicher werden, stößt fünf Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise auf gestiegenes Interesse. Am Wochenende hat aber die Financial Times gewaltig an Pikettys Image gekratzt. Laut dem Ökonomie-Redakteur Chris Giles finden sich in den Daten erhebliche Fehler. Das wäre für das Buch besonders fatal, wird es doch von Autor und Verlag als Analyse "einer einzigartigen Datensammlung von 20 Ländern, die bis ins 18. Jahrhundert reicht", beworben.

Giles und sein Team machen Piketty drei Vorwürfe:

  • Fehler: Bei einigen Tabellen, die Piketty zum Buch veröffentlicht hat, gibt es fehlerhafte Verweise. Daten im Buch weichen von Informationen der Originalquellen ab. An manchen Stellen werden die Daten auch justiert, so wird beim Anteil des reichsten Prozents am gesamten US-Vermögen eine Konstante hinzugefügt - ohne es im technischen Anhang zu begründen.
  • Selektion: Piketty verwendet verschiedene Datenquellen für seine Sammlung, die nicht immer gut vergleichbar sind. Zu Großbritannien verwendet er etwa Daten der Zoll- und Finanzbehörde, obwohl diese laut Behörde nicht für die Analyse von Vermögensverteilung geeignet sind. Für Giles betrieb Piketty "Rosinenpickerei".
  • These: Der FT-Journalist hat die Daten von Piketty um die von ihm identifizierten Probleme "bereinigt". Berechnet man die globale Vermögensverteilung in den vergangenen dreißig Jahren damit neu, ist die Welt nicht wesentlich ungleicher geworden.

Der französische Ökonom ist um Schadensbegrenzung bemüht und verteidigt sein Buch gegen den Angriff. "Keine Schlussfolgerung ist betroffen", schreibt Piketty in einer Antwort auf Standard-Anfrage. Er habe die Daten auch deshalb veröffentlicht, damit andere Wirtschaftsforscher sie für Analysen nutzen konnten.

Insbesondere die Kritik an der These, dass die Vermögensungleichheit in den vergangenen 40 Jahren zugenommen hat, weist er zurück. "Noch aktuellere Studien zu den USA zeigen, dass der Anteil der Reichsten am Vermögen noch größer ist, als in meinem Buch geschätzt." Dabei bezieht er sich auf eine Studie von Emmanuel Saez, Professor an der University of California, Berkeley. Branko Milanovic, langjähriger Forscher zu Ungleichheit bei der Weltbank, geht davon aus, dass die Enthüllungen "fast gar nichts" an der Bedeutung und der Aussage des Buches ändern würden.

Dabei gibt Piketty zu, dass die Datenquellen für Vermögen weniger gut strukturiert und vergleichbar sind als etwa für Einkommen. Daher müsse es - etwa über den automatischen Datenaustausch zwischen Ländern - weitere Anstrengungen geben, die Datensätze weltweit zu harmonisieren: "Es ist klar, dass wir mehr verlässliche Daten brauchen. Aber die FT -Geschichte ist schwach und lächerlich." In jedem Fall hat sie eine neue Debatte losgetreten. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 27.5.2014)