Kommt das militärische Eingreifen Frankreichs in Mali zur Sprache, wird es schnell laut. Dann setzt im Flüchtlingscamp Goudebou im burkinisch-malischen Grenzgebiet eine minutenlange Schimpftirade ein. Schließlich sollte die Anfang 2013 begonnene Intervention die Situation im westafrikanischen Mali befrieden, nachdem Islamisten und Tuareg-Rebellen Teile des Landes einnahmen. Doch nun, eineinhalb Jahre später, ist von Stabilität kaum etwas zu spüren, hunderttausende Flüchtlinge leben weiterhin hunderte Kilometer von der Heimat entfernt. "Wir hatten gehofft, dass Frankreich den Krieg beenden und für Recht und Ordnung sorgen würde. Stattdessen kam es zu zahlreichen Verbrechen an der Zivilbevölkerung. Es ist schlimmer als zuvor", klagt etwa Wallet Haiballer Fadimata, Vorsitzende der Frauen im Flüchtlingscamp.

In der Nähe der Stadt Dori im Norden Burkina Fasos befindet sich das Flüchtlingscamp Goudebou:  

In Goudebou wird schnell ersichtlich, dass es sich hier, in der nördlichsten Region Burkina Fasos, um einen Teil der Sahelzone handelt. Die Vegetation beschränkt sich auf Dornsträucher, Akazien und vereinzelte Affenbrotbäume, die nur wenig von diesem bei über 40 Grad so beliebten Schatten bieten. Inmitten in diese karg besiedelte Landschaft wurden seit Oktober 2012 genau 2504 Zelte aufgebaut. Sie dienen als provisorische Heimat für knapp 10.000 der insgesamt rund 500.000 Malier, die vor der Gewalt in ihrer Heimat geflüchtet sind. Unter einem Wellblech, das zwar Schutz vor der Sonne, aber kaum Abkühlung bietet, versammelt sich das 13-köpfige Komitee, das die Interessen der Flüchtlinge vertritt.

2504 Zelte sind bisher im Flüchtlingscamp Goudebou aufgebaut worden. 
Foto: derStandard.at/Hoang

Waradine Ag Mohamed gehört dem Flüchtlingskomitee an. Neben einer grauen Cordhose und einem langärmeligen hellblauen Hemd trägt er den für die Tuareg typischen Tagelmust, einen Turban mit Gesichtsschleier. Sein Gesicht bedeckt der Mittvierziger aber gerade nicht, dazu hat er zu viel zu erzählen, zu viel zu beklagen. Dabei geht es gar nicht um das Leben im Flüchtlingscamp, das vom UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) mithilfe diverser NGOs eingerichtet wurde. Platz gibt es genug, von einer gedrängten Zeltstadt kann hier also keine Rede sein. An Wasser, Nahrung und medizinischer Versorgung mangelt es ebenfalls nicht, und die Kinder können die lokalen Schulen besuchen. Die Erwachsenen beteiligen sich an diversen Projekten, um etwas Geld zu verdienen; oder um einfach einen Zeitvertreib zu haben.

Eine 13-köpfige Familie bewohnt eines der rund 25 Quadratmeter großen Zelte.  
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Mohamed sorgt sich vielmehr um sein Land. Mali durchlebt erneut eine Krise größeren Ausmaßes. Nach einem Militärputsch im März 2012 verbündeten sich die Tuareg-Separatisten der Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad (MNLA) mit islamistischen Gruppierungen wie Ansar Dine und brachten den Norden des Landes unter ihre Kontrolle. Danach drängten sie mehr und mehr gen Süden, die malische Armee hatte ihnen kaum etwas entgegenzusetzen. Als auch die Hauptstadt Bamako in Gefahr war, griff die ehemalige Kolonialmacht und heutige "Schutzmacht" Frankreich ein. Präsident François Hollande ordnete im Jänner 2013 "Opération Serval" an, um die Rebellen zurückzudrängen. Dies gelang auch rasch, nur wenige Monate später galten die Islamisten als vertrieben, und im Sommer wurde mit Ibrahim Boubacar Keita ein neuer Präsident gewählt. Eigentlich sollte sich die Lage in Mali also beruhigt haben. Eigentlich.

Hacha Ag Baceor berichtet von Folter durch das malische Militär.
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Abgesehen davon, dass sich die Tuareg-Rebellen noch immer nicht geschlagen gegeben haben und die Islamisten in diversen Verstecken vermutet werden, sorgte die Intervention Frankreichs für unerwünschte Nebenwirkungen. "Die Franzosen haben die Islamisten bekämpft. Dafür konnte die malische Armee in den Norden des Landes vordringen und sich rächen. Sie haben Menschen verhört und gefoltert, die sie ohne Beweise mit den Tuareg-Rebellen in Verbindung brachten", schimpft Hacha Ag Baceor. Der Mann mit grünem Tagelmust und einem weißen für die Tuareg typischen Übergewand, dem Tekatkat, stellt sich als Chef des Flüchtlingsblocks "XI" vor. Seit Mitte 2013 lebt er im Camp, für seine Flucht mitsamt Familie hat er 1,5 Millionen CFA-Franc gezahlt, umgerechnet knapp 2300 Euro. Baceor berichtet von malischen Soldaten, die Häuser durchsucht haben, um offiziell Rebellen zu fangen. Inoffiziell nahmen sie alle Wertgegenstände an sich.

Mitglieder des Flüchtlingskomitees in Goudebou.
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Es ist nicht das erste Mal, dass die Tuareg-Rebellen aufbegehren. Seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1960 erheben sie sich regelmäßig und fordern einen eigenen Staat im Norden des Landes. "Die Regierung will jetzt hart durchgreifen und alle Rebellen festnehmen, aber auch alle, die mit ihnen in Verbindung stehen könnten", sagt die Frauenvorsitzende Wallet Haiballer Fadimata. Sie muss es wissen, ihr Mann war einst beim malischen Militär tätig. Aufgrund der Übergriffe der Soldaten wuchs auch die Wut auf die Armee und alle ihr Nahestehenden, sodass die 51-Jährige ebenfalls flüchten musste. "Es ist egal, auf welcher Seite man steht, der Konflikt betrifft alle." Mit "alle" meint Fadimata nicht nur Armee und Tuareg, sondern auch die anderen der rund 30 Volksgruppen in Mali; die Mande, die Songhai, die Fulbe und wie sie alle heißen. "Die Regierung hat mit ihrem Verhalten die ganze Gesellschaft in Mali geteilt. So wie hier im Camp alle friedlich zusammenleben, ist das daheim derzeit nicht möglich."

Frauenvorsitzende Wallet Haiballer Fadimata: "Wir sind in Mali an einem toten Ende angelangt. Es geht nichts mehr weiter."
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Daheim, da war Waradine Ag Mohamed seit Dezember 2012 nicht mehr. Während er von seiner Flucht und seinem früheren Leben in Mali berichtet, zieht er immer wieder langsam an der spendierten europäischen Zigarette. Es scheint, als müsse er sich so beruhigen, um nicht laut zu werden. In Gao, einem Hot Spot des Konflikts in Mali, arbeitete der Jurist für eine lokale NGO und kümmerte sich um Bildungsmöglichkeiten für Mädchen, um genügend Nahrung für die Allerärmsten in der Bevölkerung. Er hat dort die allerschlimmsten Seiten gesehen, die die Kämpfe zum Vorschein gebracht haben. Details verschweigt er, stattdessen gönnt er sich eine größere Dosis Nikotin.

Waradine Ag Mohamed fordert ein verstärktes Engagement der internationalen Staatengemeinschaft in Mali. 
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Hier im Flüchtlingskomitee kann Mohamed sein Wissen einbringen, auch die dort aktiven NGOs bedienen sich seines Know-hows. Es wäre für ihn ein Leichtes, weiterzuziehen und sich ein neues Leben in Burkina Faso aufzubauen, er hat auch bereits konkret daran gedacht. Niemand wird gezwungen, im Flüchtlingslager zu bleiben, jeder kann kommen und gehen, wie ihm beliebt. Doch will er seine Familie nicht zurücklassen. "Schwester, Bruder, Neffen und Nichten sind hier. Sie brauchen mich." Für ihn gibt es nur die Optionen Flüchtlingscamp oder zurück in die Heimat. Doch in Gao, hat Mohamed gehört, gab es vor wenigen Tagen wieder Kämpfe.

Wassertransport im Flüchtlingscamp. 
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Um in Mali die langersehnte Stabilität zu erreichen, müssen drei Bedingungen erfüllt werden, sagt Mohamed: Gerechtigkeit für alle Opfer des Krieges, eine Einbeziehung aller Akteure des Konflikts in die Verhandlungen, und die Wahrung der Menschenrechte aller Malier. Dies alles kann nur mit verstärktem Engagement der internationalen Staatengemeinschaft Realität werden, erklärt Mohamed, dem aber auch bewusst ist, dass der Fokus von Europa derzeit auf anderen Krisen liegt; in der Ukraine, in der Zentralafrikanische Republik. Mali gilt nördlich von Afrika als Konflikt, der im Großen und Ganzen vorbei ist. "Wie kann jemand, der so weit weg ist, von Frieden reden?", erzürnt sich Mohamed nun doch. Die Enttäuschung über Europa ist groß, über Frankreich noch größer. "Wir dachten, die Franzosen würden uns helfen. Als ehemalige Kolonialmacht kennen sie die wahren Probleme in Mali. Und sie haben dadurch eine historische Verantwortung für dieses Land. Sie müssen etwas tun - mehr als bisher." (Kim Son Hoang, derStandard.at, 1.6.2014)