Für das matte Ergebnis ist die Führungsriege erstaunlich guter Dinge. Alles halb so wild, lautete der Tenor, nachdem die SPÖ bei der Europawahl am Sonntag auf Kellerniveau picken geblieben war. Die ersten Gegenstimmen aus den eigenen Reihen parierte Parteichef Werner Faymann regelrecht launig. Bei 2000 Mandataren sei halt immer wer anderer Meinung, sagte der Kanzler - er stelle den Medien gerne eine Liste möglicher Ansprechpartner zusammen.

Die Genossen unterhalb der Chefetage finden das Bonmot wohl weniger lustig als die Journalisten nach dem Ministerrat am Dienstag. Die Mehrheit mag zwar die persönliche Attacke gegen Faymann, die der burgenländische Landesrat Peter Rezar im Kurier lanciert hat, als wadlbeißerisch ablehnen, doch so viele Granden nun auch pflichtschuldig zur Verteidigung des Obmanns antreten: Im Kern spricht Rezars Kritik breiten Teilen der roten Basis aus dem Herzen.

Viele, denen die SPÖ am Herzen liegt, haben das Phlegma der Parteispitze, die Stagnation als Teilerfolg und Koalitionsfrieden als Leistung verkauft, satt. Sie wollen sich nicht mit Trippelschritten und Kompromisserln abfinden, sondern aufs Ganze gehen - und das ist eine Steuersenkung für Arbeitseinkommen, finanziert durch Vermögenssteuern. X-mal sind die Funktionäre für dieses Ziel - wie es im Parteijargon heißt - "gerannt", doch wenn es so unerreichbar bleibt wie eine Fata Morgana, erlahmen die Beine. Schon bei der Europawahl kam die Kampagne schwer in die Gänge - beim nächsten Urnengang drohen die Kräfte von unten völlig zu schwinden.

Verbuchte die SPÖ in der letzten Regierungsperiode noch Etappensiege wie die Immobilienertragssteuer, glänzt sie seit der rot-schwarzen Neuauflage beim Verpassen von Gelegenheiten. In den Koalitionsverhandlungen gab es naturgemäß Manövriermasse in Hülle und Fülle, doch Faymann und Co setzten nicht einmal Spurenelemente ihres Kernanliegens durch; selbst ein grober Zeitplan kam erst nach Monaten zustande, als das Rumoren im roten Unterbau bedrohlich anschwoll. Fehlanzeige auch auf Nebenschauplätzen: Die Reform der Grunderwerbsteuer konserviert einmal mehr Steuervorteile für Immobilienvermögen - finanziell vielleicht vernachlässigbar, aber symbolisch umso verheerender für die SPÖ, die gleichzeitig ungerührt Sparpläne bei der Bildung exekutierte.

All das lässt sich freilich nicht einfach auf die Unzulänglichkeit einzelner Personen schieben. Natürlich ist Faymann auch Gefangener im Patt der Koalition - und die Kritiker in der SPÖ haben keine echte Alternative zu bieten. Ein Koalitionsbruch nach wenigen Monaten ließe die Kanzlerpartei in den Augen der Öffentlichkeit als Chaotenhaufen dastehen. Wenn der neue Partner, wie einzelne kokettieren, dann noch Strache heißen soll, ist die letzte Glaubwürdigkeit dahin.

Zur Steuerreform prügeln wird Faymann die ÖVP auch nicht können. Bleibt also eine vernachlässigte Kunst, die sich Politik nennt: Stimmungslagen als Rückenwind nützen, öffentlichen Druck aufbauen, statt Koalitionsruhe über alles zu stellen, Verbündete beim Gegner suchen. Die Chance dazu wird sich bieten, denn auch in der ÖVP drängen Unzufriedene auf eine Steuerreform. Der relative Erfolg bei der Europawahl verspricht Parteichef Michael Spindelegger eine Atempause, aber keinen Dauerfrieden. Auch für seine Gefolgschaft gilt: Der nächste Aufruhr kommt bestimmt. (Gerald John, DER STANDARD, 28.5.2014)