Wer in den Süden Luxemburgs zur Stadt Esch an der Alzette fährt, kann es eigentlich nicht übersehen: dieses großes Gelände mit stillgelegten Fabrikshallen, Hochöfen und langen rostigen Rohren. Auf einem Teil der 120 Hektar großen Industriebrache Belval entsteht gerade für eine Milliarde Euro Gesamtkosten ein Prestigeprojekt der luxemburgischen Forschung, die Cité des Sciences. Eine künstlich angelegte Megacity mit Platz für Forschungseinrichtungen und Universitätsinstituten des Landes, mit Cafés, Restaurants, Bahnhofstation und Shopping-Center.
Derzeit umfasst die Cité des Sciences schon 195.000 m2 so genannter Bruttogeschossflächen, nach dem für 2030 geplanten Endausbau sollen es 500.000 m2 sein. Bei einer Führung über das Gelände - einem Spaziergang zwischen Lastwagen, Schaufeltraktoren und Abrissbirnen - sehen Besucher, dass viele Bestandteile der alten Industriegebäude in das architektonische Konzept der Wissenschafts- und Forschungsstadt integriert werden. So will man Geschichte und Zukunft dieses Ortes zu einer optischen Einheit verbinden.Ob das ein angenehmes Ambiente für Wissenschafter und Studenten schafft?
Durchsichtiger Lack
Immerhin werden die alten Rohre mit durchsichtigem Lack verschönert. Ansonsten sticht vor allem das eindringliche Rot der Bank Dexia aus dem Gelände hervor. In einem Land, dessen Hauptstadt in den vergangenen Jahren zu einem europäischen Bankenzentrum wurde, könnte man von einem Symbol sprechen, wenn man nicht wüsste, dass Luxemburg gerade hier in der Cité des Sciences zeigen will, dass es mehr kann als die Großfinanz anzuziehen: in Forschung und Entwicklung zu den europäischen Spitzenreitern zu zählen.
Luxemburg hat F&E allerdings erst 1987 für sich entdeckt. Damals wurden im Großherzogtum mit etwa 550.000 Einwohnern zwei Forschungszentren gegründet, die nach luxemburgischen Wissenschaftern und Erfindern benannt wurden: Das Centres de Recherche Public (CRP) Henri Tudor nach dem Ingenieur, der den ersten brauchbaren Bleiakkumulator baute. Das CRP Gabriel Lippmann nach dem Physik-Nobelpreisträger von 1908, der ein Verfahren entwickelte, um Farbfotografie zu ermöglichen.
Fehlender Leidensdruck
Vor elf Jahren erst hat man schließlich die einzige Universität des Landes in der Hauptstadt Luxemburg gegründet - mit den Fakultäten Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften und Jus. Warum man nicht früher aktiv wurde, glaubt Marc Lemmer, Geschäftsführer von Tudor, zu wissen. Im Gespräch mit Journalisten stellt er fest: "Früher fehlte uns vermutlich der Leidensdruck". Als Luxemburg vor allem von der Eisen- und Stahlindustrie und vom Baugewerbe leben konnte, sah man offenbar keinen Grund für Veränderungen.
Seit der Jahrtausendwende aber ist das anders: Die Ausgaben Luxemburgs für Forschung und Entwicklung wuchsen rasant. 2012 betrug das Volumen mit 280 Mio. Euro ungefähr zehn Mal so viel wie im Jahr 2000. In Österreich wendet die öffentliche Hand laut dem aktuellen Technologiebericht 3,6 Mrd. Euro für Forschung auf.
Diese Mittel stagnieren allerdings seit Beginn der Finanzkrise. Das Ergebnis lässt sich am Innovation Union Scoreboard 2014 ablesen: Luxemburg ist am fünfter Stelle im Wettbewerb um die höchste F&E-Quote, Österreich liegt auf Platz 10. Lammer im Interview: "Der Fokus des Scoreboard auf kurzfristige, direkt mit Innovation zusammenhänge Erfolge kommt uns sehr zugute."
Input allein kann freilich ein Land noch nicht in die Sphären wissenschaftlicher Exzellenz bringen, Luxemburg ist hier noch ein "Low Performer" und auf Platz 26. von 33 Ländern. Die Grants des European Research Council (ERC) werden noch nicht in dem Maße an Wissenschafter zuerkannt, wie Lammer und andere Experten es sich wünschen würden. Auch an weltweit zitierten wissenschaftlichen Publikationen fehlt es noch.
Die Rahmenbedingungen für eine Verbesserung könnten jedenfalls mit der Cité des Sciences geschaffen werden. Die Universität wird fast vollständig dorthin übersiedeln. Tudor und Lippmann werden am 1.1.2015 zum Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST) fusioniert und ebenfalls in der Science City zu finden sein. Damit will man endlich international mehr Aufmerksamkeit erwecken - vor allem mit den Themen Materialwissenschaften, Informatik und Umweltwissenschaften.
Die luxemburgische Forschung ist - davon konnte man sich im Rahmen einer Studienreise der Austrian Cooperative Research (ACR) überzeugen - sehr anwendungsnah: Da wurde an der Software für die Pisa-Studie, "Testing Assisté par Ordinateur" (TAO), genauso gearbeitet wie im Verbund mit Forschungspartnern aus Deutschland und Großbritannien an einem zusammengesetzten Elektrotransportfahrzeug, das je nach Last und Größe der zu liefernden Güter als großes Ganzes oder als kleines Minivehikel ausfährt - um Energie im Verkehr zu sparen. Neugierde erweckte schließlich auch ein Projekt, das Stoffe aus dem menschlichen Harn extrahiert, um sie zur Düngung in der Landwirtschaft zur Verwendung zu bringen,
Heimat der Radfahrer
Luxemburg, Geburtsland vom wahrscheinlichen künftigen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, von der TV-Moderatorin und Schauspielerin Desirée Nosbusch und von den radrennfahrenden Brüdern Fränk und Andy Schleck, könnte aber auch bald die Heimat von mehr Nobelpreisträgern als bisher sein, wenn es gelingt , rund um die Uni mehr Grundlagenforschung und die derzeit noch fehlende Exzellenz aufzubauen. (Peter Illetschko aus Luxemburg, DER STANDARD, 28.5.2014)