Indie-Games: Blase oder goldenes Zeitalter, was meinen Sie?

Screenshot: Youtube/The Slow Mo Guys

In den ersten fünf Monaten dieses Jahres hat die Downloadplattform Steam mehr Spiele in ihr Angebot aufgenommen als im gesamten Jahr 2013 - die meisten davon Indie-Spiele. Der Marktplatz ist gesättigt mit Early-Access-Titeln unabhängiger Entwickler, die sich so finanzieren wollen und mit fertigen Spielen um Kunden rittern, und im Wartezimmer des marktbeherrschenden Portals, auf Steam Greenlight, drängeln sich tausende hoffnungsvolle Titel - ebenso wie auf Kickstarter, wo die luftigen Finanzierungsträume vieler Indie-Devs immer öfter einfach in der Masse an Leidensgenossen verschwinden.

Immer neue Ludum Dares und Game Jams produzieren Minispiele, Experimente und Prototypen im Minutentakt, und der Mobile-Games-Markt erstickt schon seit längerem an einer Lawine von Spielen von kleinen und kleinsten Entwicklern. Zusätzlich buhlen fast täglich immer neue Bundles, Sales und Angebote um die Aufmerksamkeit der zunehmend überforderten Spielerschaft. Die Preisspirale dreht sich immer schneller nach unten - warum ein (Indie-)Spiel bei Release zum (ohnedies meist moderaten) Vollpreis kaufen, wenn es verlässlich drei Wochen später im “Pay-what-you-want”-Modell verramscht wird? Eine ständig wachsende Heerschar an Indie-Entwicklern kannibalisiert sich und ihre Spiele im Kampf um die begrenzte Spielerschaft - bis zur Implosion des aufgeblasenen Marktes.

Gibt es eine “Indie-Blase”?

Dieses düstere Bild zeichnet der Indie-Entwickler Jeff Vogel, mit seinen Oldschool-RPGs “Geneforge” und “Avernum” ein Urgestein der Indieszene, in einem vielbachteten Text mit dem düsteren Titel “The Indie Bubble Is Popping”. Es gebe schlicht und ergreifend zu viele Spiele für einen ohnedies bereits übersättigten Markt - die allermeisten jener Indie-Entwickler, die mit dem blauäugigen Traum vom schnellen Erfolg ihre Spiele als Unabhängige verkaufen wollen, würden Schiffbruch erleiden. Tatsächlich scheint für viele Trittbrettfahrer und Optimisten das Schlagwort “Indie” für den Weg zum schnellen Reichtum zu stehen - und das ist nicht ganz abwegig. Mit kaum einem anderen Produkt - weder mit Musik, Filmen oder Literatur - können Einzelne heutzutage in derart kurzer Zeit ähnlich große Beträge verdienen. Selbst wenn sich das von einem einsamen Spielemacher im elterlichen Keller zusammengestoppelte Spiel “nur” lächerliche 100.000 Mal verkauft, winken gleich für Einzelpersonen beachtliche Beträge - man muss ja immerhin nur mit dem Marktplatz teilen.

Der kommerzielle  Erfolg von Titeln wie “Flappy Bird”, aber natürlich vor allem die beispiellose Karriere des “Minecraft”-Erfinders  Markus “Notch” Persson erschufen die Illusion vom Indie-Millionär - kein Wunder, dass diese Hoffnung auf plötzlichen Reichtum so viele anlockt. Den Schaden, so propheizeit Vogel düster,  trage aber die gesamte Indie-Szene, der genau wie der Mobile-Games-Welt ein Ersticken im Überfluss plus Preisverfall drohe.

Das Goldene Zeitalter

Für die Masse jener Entwickler, die sich mit falschen Hoffnungen vom schnellen Geld in die schöne, neue Indie-Welt stürzen, mag der alarmistische Befund Vogels zutreffen - es ist tatsächlich fraglich, dass bei gleichbleibender Spielerzahl und wackeliger Monetisierung das derzeitige Überangebot an Indie-Spielen von Dauer ist. Wie bei jedem Goldrausch haben all jene, die aufs schnelle Glück aus sind, ab einem gewissen Zeitpunkt das Nachsehen. Das ist jedoch für Spieler kein Grund zur Trauer, denn der Flut an schlecht geklauten Titeln, schamlosen Klonen und ermüdender Resteverwertung braucht man keine Träne nachweinen.

Für die Spieler stellt sich die sogenannte “Indie-Blase” im Gegensatz dazu durchaus als Goldenes Zeitalter dar. Nie zuvor gab es eine derartig schillernde Bandbreite an faszinierend unterschiedlichen, großartig umgesetzten Titeln zu derart niedrigen Preisen. Und auch wenn sich die Konkurrenz verhundertfacht hat, gibt es heute mehr Indie-Entwickler als je zuvor, die von ihren Spielen leben können. Zugegeben: Nur ganz wenige werden damit richtig reich. Doch für eine größere Anzahl als je zuvor reicht es zum bequemen Überleben. Und dass der Großteil derer, die heute mit Indiespielen ihr Geld verdienen wollen, scheitern werden, ist letztlich nicht besonders erwähnenswert - sondern ganz normal.

Alles ganz normal

Denn darin offenbart sich nicht unbedingt eine “Blase”, sondern lediglich eine Angleichung an alle anderen Kulturindustrien: Millionen von frustrierten Möchtegern-Autoren, -Musikern und -Schauspielern können ein Lied davon singen. Es reicht eben nicht, mit seiner Stimme, seinem Buch, seinem Schauspieltalent, seinem Spiel auf den Markt zu stolpern und das Beste zu hoffen. Dass sich diese Einsicht auch auf dem Indie-Sektor durchsetzt, ist nur eine überfällige Normalisierung, die à la longue zu neuer Qualität verhelfen wird.

Pessimisten wie Vogel befürchten, dass in der Schwemme an Minderwertigem und dem Preiskampf der Boden für innovative kleine Indies verbrannt wird, doch davon ist wenig zu bemerken: Immer wieder schaffen es No-Names trotz dieser Konkurrenz durch pure Qualität nach oben - Indie-Perlen wie “Banished” oder “FTL” beweisen es. Was es sicher braucht, ist einerseits auf Indie-Seite eine professionellere Öffentlichkeitsarbeit, und andererseits intensive und sorgfältige Kuratierung, um den Spielern die Perlen aus dem riesigen Ozean an Indie-Titeln präsentieren zu können.

Optimismus angesagt

Die GameStandard-Serie “Best of Indie” sieht sich als bescheidenen Beitrag in diese Richtung und holt einmal monatlich eine Auswahl bemerkenswerter Titel vor den Vorhang - auch um zu zeigen, dass es abseits des Mainstreams Spiele gibt, die nicht nur “Core-Gamern” gefallen.  Jeff Vogels düstere Warnung lässt nämlich eines außer Acht: Mit der Explosion der Indieszene verbreitert sich auch das Spektrum an Spielen - und vielleicht braucht es genau das, um bei bedeutend größeren Bevölkerungsschichten anzukommen. Im Mobile-Markt verführen schließlich nicht nur seelenlose Suchtspiralen wie “Candy Crush”, sondern auch Titel wie “Monument Valley” oder “Blek” ganz neues Publikum zum Spielen.

Man darf ja wohl auch mal Optimist sein: Vielleicht machen Indie-Spiele ja auf kurz oder lang auch vom Mainstream abgeschreckte Zeitgenossen zu Spielern . In der großen Auswahl ist schließlich für fast jeden etwas dabei, vom Multiplayer-Spaß à la “Towerfall” über nostalgische Abenteuer wie “Broken Age” bis hin zu Experimenten wie “Gone Home” und “The Stanley Parable” - und, und, und.  Blase? Geschenkt: Willkommen im Goldenen Zeitalter von Indie. (Rainer Sigl, derStandard.at, 30.5.2014)