Sie kannte Bambi-Autor Felix Salten und Maler Marc Chagall. "Ich bin halt ein Methusalem", kommentiert sie das: Elisabeth Waltz-Urbancic.

Foto: Standard/Regine Hendrich

STANDARD: Ich möchte mit Ihnen übers Theater, Wien und Alpbach nach dem Krieg reden, und ein wenig über das berühmteste Ihrer vier Kinder, Christoph Waltz.

Waltz-Urbancic: Übers Theater auch? Aha. Früher hat man übrigens immer gesagt: "Das ist Christoph Waltz, der Sohn von der Urbancic." Heute sagt man über mich: "Das ist die Mutter von Christoph Waltz." So ändern sich die Zeiten. (lacht)

STANDARD: Am Theater haben Sie ja Ihr ganzes Arbeitsleben verbracht. Und beim Forum Alpbach sind Sie eine der letzten Zeitzeugen der ersten Veranstaltung 1945.

Urbancic: Ja, Wahnsinn, ich bin ein Methusalem. Von den Wienern war ich die Erste, die in Alpbach war. Die Wiener konnten 1945 ja nicht aus der Stadt, ich war vorher vor den Russen zu meiner Tante nach Tirol geflohen.

STANDARD: Da haben Sie einen Kollegen aus der Neulandschule getroffen, der Sie zu den Internationalen Hochschulwochen Alpbach mitnahm. Alpbach-Gründer Otto Molden war aber gar nicht begeistert, dass Sie auftauchten.

Urbancic: Er war furchtbar bös, dass jemand Uneingeladener mitkam. Aber weggeschickt hat er mich dann doch nicht, und so wurde ich fast ein Gründungsmitglied. Man hat in Arbeitskreisen diskutiert, wir Studenten saßen auf der Wiese im Kreis um den Professor, wie bei den alten Griechen. Und abends gab es wilde Feste. Es war wunderschön.

Standard: Ein ziemlicher Kontrast zum zerbombten Wien, aus dem Sie nach Tirol gekommen waren.

Urbancic: Es war herrlich. Wir kamen das erste Mal mit Menschen von auswärts zusammen, aus der Schweiz, aus Frankreich. Wir in der katholischen Neulandschule, die dann von den Nazis übernommen wurde, waren ja in Opposition zu Hitler, aber trotzdem hatte es bis dahin für uns nur Nazis und Katholiken gegeben. Aber das Tollste war, als wir nach Alpbach im Sommer 1945 noch in die Schweiz eingeladen wurden, ich bin in Zürich gelandet. Das war, als ginge die Welt auf, es war wie im Paradies. Daheim hatten wir kein Licht, keine Schaufenster, Bretter vor den Fenstern – und plötzlich war alles hell erleuchtet.

Standard: Mit den Molden-Brüdern Otto und Fritz sind Sie ja in die gleiche Schule gegangen.

Urbancic: Ja, sie waren auch in der Neulandschule. Mit Fritz bin ich sogar in den gleichen Kindergarten gegangen, wie wir viel später draufgekommen sind.

Standard: Bei einem Ihrer Familienfeste hat vor wenigen Jahren Walther Soyka gespielt. Er ist ja ein Bandkollege von Ernst Molden, dem Sohn von Verleger Fritz Molden, der heuer gestorben ist.

Urbancic: Das war zu meinem 85. Geburtstag, eine Überraschung von meinen Kindern. Bei diesem Fest war übrigens auch Christoph dabei; er kommt ja sonst nie, weil er immer unterwegs ist. Wobei: Im März war er auch da, weil seine kleine Tochter in Wien Geburtstag feiern wollte. Da hatte ich die Ehre, ihn wieder einmal zu sehen.

Standard: Traurig, dass Sie ihn selten sehen?

Urbancic: Nein, meine Kinder leben auf der ganzen Welt verstreut, und ich war früher auch viel unterwegs. Wir sind aber alle in telefonischem Kontakt.

Standard: Sie kommen aus einer großbürgerlichen Theaterfamilie...

Urbancic: Väterlicherseits eigentlich aus einer sogenannten großbürgerlichen Professorenfamilie, mein Großvater Urbancic war Universitätsprofessor und Laryngologe, mein Onkel war auch Laryngologe und mein Vater Psychoanalytiker. Christoph wollte als Kind eigentlich auch Arzt werden, hat sich Anatomie-Bücher schenken lassen. Dann hat er sich eines Besseren besonnen – und kriegt jetzt Oscars dafür. (lacht)

Standard: Sonst hätte er vielleicht den Nobelpreis bekommen.

Urbancic: Ja, was weiß man. (lacht)

Standard: Ihre Mutter MariaMayen und Ihr Stiefvater Emmerich Reimers waren Schauspieler. Ihre Mutter debütierte 1913 an der Burg, wurde 1926 Kammerschauspielerin. Das war das erste Jahr, in dem dieser Titel verliehen wurde ...

Urbancic: Das wusste ich gar nicht. Sie hat jedenfalls großen Wert auf diesen Titel gelegt, komisch. Bei uns daheim in Grinzing sind damals Schauspieler und Autoren ein- und ausgegangen. Einmal hat mir Felix Salten ein Buch geschenkt – leider ohne Widmung.

Standard: Und Sie: Wollten Sie nie Schauspielerin werden?

Urbancic: Oh doch, ich wollte auch. Aber ich habe mich geniert, wollte das meinen Eltern nicht kundtun. Dann habe ich einmal vorgesprochen – und dachte, man wird in Ohnmacht fallen und sagen "Die neue Duse ist gekommen" – aber man war gar nicht so begeistert von mir. Das hat mich tief getroffen. Ich habe die Minna von Barnhelm vorgesprochen, und man hat mir gesagt, ich sollte doch lieber die Franziska sein, das ist die Lustige in dem Stück. Ich war beleidigt, hab mich zurückgezogen und wollte nie mehr etwas mit dem Theater zu tun haben.

Standard: Ist Ihnen nicht ganz geglückt. Sie haben Bühnenbild an der Akademie der bildenden Künste bei Emil Pirchan studiert, lernten ab 1950 beim Maler Ferdinand Léger in Paris; der hatte ja in einer Künstlerkolonie mit Chagall gelebt.

Urbancic: Chagall habe ich damals noch lebend gesehen, bei einer Ausstellungseröffnung. Ich sag’s Ihnen ja: Ich bin ein Methusalem.

Standard: Ihr Söhne Martin und Christoph sind auch Schauspieler. Was fasziniert so am Theater? Christoph hat in Klassikern wie Hamlet und Lear begonnen, sagt aber, er habe sich nie viel aus Theater gemacht. Sein Wunsch, Theater zu spielen sei "im Grunde eine Entwicklungsstörung" gewesen.

Urbancic: Ja, ja. Christoph hat das Theater zugunsten des Films ad acta gelegt; was schade ist, denn er war recht gut. Was das Faszinierende am Theater ist? Mein Gott, ich hab so dazugehört, dass ich mir das nie so überlegt habe. Die Theaterwelt ist einfach spannend und aufregend.

Standard: Sie haben viel mit dem deutschen Regisseur Rudolf Noelte gearbeitet. Er war sehr text- und autorentreu; Theaterspektakel lehnte er ab. Sie auch?

Urbancic: Er hat sehr, sehr puristisch gearbeitet, wollte auch keine Farben haben, hat alles Grelle abgelehnt. Ich war so indoktriniert, dass ich mich damals nur noch in Grau und Beige gekleidet habe. Die Schauspieler sollten auch nicht geschminkt sein. Die Schauspielerinnen kamen geschminkt ins Theater und wurden in der Maske abgeschminkt (lacht). Ich habe viel mit Noelte gearbeitet, aber seine Inszenierungen wurden altmodisch. Ich habe den Kontakt zu ihm dann verloren.

Standard: Er starb verarmt, begraben liegt er in Berlin, nahe Marlene Dietrich und Helmut Newton.

Urbancic: Interessant. Keine schlechte Gesellschaft.

Standard: Ihr Mann, Johannes Waltz, war auch Bühnenbildner, starb 1964. Da war Ihr Ältester elf, ihr Jüngster sechs. Wie lebten Sie als Alleinerzieherin mit vier Kindern?

Urbancic: Ich arbeitete in München, hatte Kindermädchen, von denen ich abhängig war, und als meine Kinder ins Gymnasium kamen, übersiedelten sie nach Wien zu meinen Eltern. Ich kam nur an den Wochenenden dazu.

Standard: Hatten Sie ein schlechtes Gewissen?

Urbancic: Ja. Immer. Die Kinder haben dieses Leben zwar, der Not gehorchend und nicht dem eignen Trieb, akzeptiert. Aber ein bissl ein Vorwurf ist schon noch da bei ihnen, habe ich das Gefühl. Wobei ich sozusagen das Glück hatte, mich nicht zwischen Hausfrau-Dasein und Arbeiten-Gehen entscheiden zu müssen: Ich musste ja einfach Geld verdienen. Wenngleich ich nie ausschließlich Hausfrau hätte sein wollen.

Standard: Sind Sie auf Ihren Sohn Christoph wegen seiner zwei Oscars besonders stolz?

Urbancic: Nein. Ich freue mich natürlich, und es ist wunderschön. Aber dadurch, dass wir alle in diesem Schauspielermilieu aufgewachsen sind, ist es nicht so, dass ich unentwegt sage: "Ha, ich hab einen Sohn mit zwei Oscars!" Gewiss nicht. Und Christoph hat ja dreißig Jahre gearbeitet, sich wirklich geplagt, bevor er zu diesem Ruhm gekommen ist. Und der ist nicht nur angenehm, es sprechen ihn ununterbrochen Leute auf der Straße an. Am Anfang war er ärgerlich deswegen, inzwischen trägt er’s freundlich.

Standard: Sie sagen, bei Ihnen daheim sei nur vom Theater gesprochen worden?

Urbancic: Ja, das hat es für meinen Sohn Johannes, der damals Jus studierte, schwer gemacht. Er hat für seine Prüfungen gelernt – aber wir redeten ständig übers Theater.

Standard: Wien ist halt schon eine ganz besondre Theaterstadt, oder?

Urbancic: Ja. Theater, Oper und Konzert haben einen hohen Stellenwert, auch unter den sogenannten einfachen Leuten; das ist in Deutschland und in der Schweiz nicht so. Dort geht man nur ins Theater, bei uns geht man "in die Burg" – aus Tradition.

Standard: Vielleicht liegt die Affinität der Wiener daran, dass sie selbst auch recht gern schauspielern? Man regt sich theatralisch auf, spielt Wichtiges runter.

Urbancic: Das kann schon sein: Schauspielern entspricht der Mentalität der Wiener.

Standard: Sie haben auch am Burgtheater gearbeitet; welcher war denn Ihr Lieblingsdirektor?

Urbancic: Mit Haeussermann hab ich mich gut verstanden, er war auch sehr lustig.

Standard: Er hatte auch die Gabe, sich über sich selbst lustig zu machen. Er hat einmal gemeint, ihn würde man im Sarg dereinst nicht drei Mal um die Burg tragen, sondern um die Länderbank Am Hof.

Urbancic: Ja, weil er so viele Schulden hatte. Die Wiener können sich halt viel besser über sich selbst lustig machen als die Deutschen. Humorlosigkeit sich selbst gegenüber: Die ist schrecklich.

Standard: Zwei Mal haben Sie auch Produktionen mit Ihrem Sohn Martin, der in Deutschland und der Schweiz gearbeitet hat, ausgestattet. Wie hat das zwischen Mutter und Sohn funktioniert?

Urbancic: Wie mit jedem anderen Regisseur. Vielleicht habe ich meinem Sohn mehr dreingeredet als anderen. Aber eingemischt und mich ein bissl wichtig gemacht: Das habe ich eigentlich immer getan, bei allen Regisseuren.

Standard: Ihr Sohn Christoph gilt Filmemachern und Zuschauern als ein bisschen melancholisch, leicht traurig. Man könnte auch sagen, er wirkt sehr Wienerisch – eine richtige Beschreibung?

Urbancic: Ich finde nicht. Was er sicher ist: leicht grantig – aber Christoph kann auch sehr lustig sein.

Standard: Er als oftmaliger Schurken-Darsteller im Film sagt ja immer, Schurken seien die interessanten Charaktere. Gilt das vielleicht auch fürs wahre Leben?

Urbancic: Ça dépend. (Kommt drauf an; Anm.) Die Braven sind meistens fad. (lacht)

Standard: Letzte Frage: Worum geht’s im Leben?

Urbancic: Oh mein Gott, das wird ja ganz philosophisch. Es geht darum, dass man sich bewährt, und es geht ums Miteinander. (Renate Graber, DER STANDARD, 1.6.2014)