Vor 165 Jahren gründete der Arzt Carl Helm in Wien eine der ersten Kinderkrippen in Europa. Nur Frankreich war um fünf Jahre schneller. Die frühen Krippen sollten ermöglichen, dass Frauen Geld verdienen und ihre Kinder vor Pflegefamilie oder Heim bewahrt werden. Sehr oft waren sie Notlösungen.

Heute sind Krippen und Kindergärten keine Notlösungen mehr, sondern das Mittel der Wahl. Die Berufstätigkeit von Frauen ist längst Normalität, der Wert früher, außerhäuslicher Betreuung und Bildung gut erforscht. Kinder, die eine pädagogisch moderne Einrichtung besuchen, zehren davon ein Leben lang. Im spielerischen Lernen miteinander und unter der Aufsicht gut ausgebildeter Pädagogen entwickeln sie elementare Fähigkeiten, die bleiben.

Individuelle Förderung, sozialer Ausgleich

Vor allem Mädchen und Buben aus sozial schwachem Elternhaus profitieren von der Fremdbetreuung: Sie finden im Kindergarten ein Umfeld, das ihnen die Familie oft nicht bieten kann - ohne, dass die von zuhause aus besser geförderten Kinder etwas abgeben müssten. Der Schlüssel: Individuelle Betreuung der Kinder, abgestimmt auf deren Bedürfnisse.

So weit die Theorie, der pädagogische Idealzustand. In der Realität gleichen Kinderbetreuungsstätten oft Amtshäusern - wenn es um die nicht vorhandene Flexibilität bei Bring- und Abholzeiten geht. Statt individuell abgestimmter Pädagogik auf spielerischer Basis gibt es Massenkindhaltung und verschulte Betreuung nach Plan.

Kein Spielraum

Das ist aber nicht primär die Schuld der Pädagoginnen und Pädagogen. Sie sind Agierende in einem System, das den Wert des Kindergartens als zentrale erste Bildungsreinrichtung noch immer nicht erfasst. Sie haben buchstäblich keinen Spielraum. Lange Zeit wurden vor allem junge Frauen "Kindergärtnerin", die selbst aus traditionellen Familien stammten. Die von ihren Familien in die Ausbildung geschickt wurden, damit sie gleich "etwas fürs Leben lernen" (nämlich Fertigkeiten in der Kinderbetreuung).

Das ändert sich langsam. Zu langsam. Obwohl das vollmundige Getöne des regierenden Personals über den Stellenwert des Kindergartens anders klingen mag - die Aufwertung des Kindergartens und des dazugehörigen Berufsbildes lässt bislang auf sich warten.

Europäisches Schlusslicht

So ist Österreich das einzige Land Europas, das seine Elementarpädagogen nicht an Universitäten oder Fachhochschulen ausbildet. Entsprechend niedrig ist deren Entlohnung - noch immer entscheidet das Alter der betreuten Kinder über die Höhe des Verdiensts. Nicht einmal jedes fünfte Kind unter drei Jahren, nämlich 19,7 Prozent, besucht in Österreich eine Kinderbetreuungseinrichtung. Die Barcelona-Ziele der EU, denen sich Österreich verpflichtet hat, sehen eigentlich einen Anteil von 33 Prozent vor.

All das bildet den Nährboden für Skepsis gegenüber außerhäuslicher Betreuung von Kindern an sich. Eng damit verwandt: Der tief verwurzelte Glaube, dass Kinder in der Kleinfamilie (und ausschließlich dort) optimale Bedingungen für pfleglichen Gedeih vorfinden. Nicht minder hartnäckig: Die Annahme, dass die Schule die erste Einrichtung sei, in der Kinder lernen (sollten). Das führt zu Äußerungen wie jener, wonach Kindergartenpädagoginnen "ein großes Herz und geschickte Hände" bräuchten - aber keinen Masterabschluss.

Falsches Signal: längere Schließzeiten

Es gibt keine echten Anzeichen, dass die Regierung die Zeichen der Zeit verstanden hätte. Keine Spur von einer Aufwertung des Berufes oder einem Recht auf einen Kindergartenplatz, wie es etwa die Grüne Familiensprecherin Daniela Musiol seit langem fordert - und wie es Deutschland bereits umgesetzt hat. Vielmehr sollen die Öffnungswochen der öffentlichen Kindergärten von bisher 47 Wochen auf 45 gesenkt werden. Für Eltern wird es damit noch schwerer, die Zeit ohne Kindergarten zu überbrücken. Das ist das Gegenteil von Flexibilisierung. Und es geht meilenweit vorbei an der Lebensrealität von Familien heute.

In der öffentlichen Debatte um außerhäusliche Kinderbetreuung regiert indes die Polemik. Seit wann man für das Wickeln von Kindern eigentlich einen Universitätsabschluss brauche, fragen da manche halblustig. Ihnen sei zugeraunt: Für das Wickeln braucht man den eh nicht. Für die optimale Entwicklung von Kindern dagegen sehr wohl. Und nicht weniger sollte der Kindergarten leisten. (Lisa Mayr, derStandard.at, 31.5.2014)