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Ein Polizist feuert Plastikgeschoße in die Demonstranten am Taksim-Platz in Istanbul.

Foto: APA/EPA/Suna

Istanbul/Athen - Die Niederschlagung von Straßenkundgebungen zum Jahrestag der Gezi-Proteste in der Türkei hat deutliche Kritik in Europa gefunden. "Ich verurteile die übermäßige Anwendung von Gewalt durch die türkische Polizei gegen Demonstranten und Journalisten", sagte der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muiznieks, am Sonntag. Die Vorgänge vom Wochenende schlössen sich an die Liste der Fälle in der Türkei im Umgang mit Demonstrationen an, die ernsthafte Bedenken über die Einhaltung der Menschenrechte aufwerfen.

Mehr als 200 Menschen wurden am Samstag in Istanbul und anderen Städten vorübergehend festgenommen, mehrere Dutzend durch den massiven Einsatz von Tränengas und durch Plastikgeschoße verletzt. Meldungen, wonach sich unter den in Istanbul Festgenommenen auch zwei österreichische Touristen befänden, wurden vom Außenministerium in Wien nach Rücksprache bei der Polizei dementiert.

Befürchtungen, die Polizei könnte erneut scharfe Munition verwenden, bewahrheiteten sich nicht. Vor zehn Tagen war bei Zusammenstößen im Istanbuler Viertel Okmeydani ein unbeteiligter Mann durch einen Kopfschuss getötet worden. Die Kugel stammte aus einer Polizeiwaffe, wie eine erste Untersuchung ergab. Videos zeigten Zivilpolizisten, die ihre Pistolen gezogen hatten.

25.000 Polizisten

Am ersten Jahrestag der Gezi-Proteste waren allein in Istanbul 25.000 Polizisten in Einsatz. Sie riegelten den Taksim-Platz und die umgebenden Straßen im Zentrum des europäischen Teils der Stadt ab; der Gezi-Park war ab dem Vormittag für die Öffentlichkeit geschlossen. Wie bereits am 1. Mai ließ der Gouverneur von Istanbul den Fährverkehr über den Bosporus unterbrechen, um zu verhindern, dass sich Menschen auf den Weg zum Taksim-Platz machen konnten. Gewaltsame Polizeieinsätze gegen Menschen, die zu demonstrieren versuchten, gab es auch in Ankara, Adana und Izmir.

Am 31. Mai 2013 hatte die Polizei auf Regierungsbefehl eine Gruppe von Umweltschützern aus dem Gezi-Park vertrieben, der nach den Vorstellungen von Premier Tayyip Erdogan einem Einkaufszentrum weichen sollte. Die Polizei ging so brutal vor, dass Stunden später mehrere Zehntausend Menschen ins Zentrum von Istanbul strömten und Taksim-Platz und Gezi-Park elf Tage lang besetzt hielten. Die Koordinatoren der Taksim-Plattform stehen wegen Bildung einer "kriminellen Vereinigung" vor Gericht.

Neun Menschen starben bei den Auseinandersetzungen im vergangenen Sommer. Erdogan hatte sich bei mehreren Gelegenheiten verächtlich über die Toten geäußert, was viele Türken verstört. "Es ist passiert und vorbei", sagte der Premier jüngst im Zusammenhang mit dem Tod eines 15-Jährigen während der Gezi-Proteste und den 301 Opfern des Grubenunglücks in Soma.  (Markus Bernath, DER STANDARD, 2.6.2014)