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Mahnwache in der Hauptstadt: In Delhi entzünden Bewohner Kerzen als Zeichen des Protests gegen die Vergewaltigung und den Mord an den beiden Dalit-Mädchen.

Foto: AP/Altaf Qadri

Die Bilder lassen einen nicht los. Unwillkürlich kommt einem das Lied Die Bäume des Südens tragen sonderbare Früchte von Billie Holiday aus den 1930er-Jahren in den Sinn. Damals lynchten weiße Rassisten in den Südstaaten der USA Schwarze und hängten sie an Bäumen auf. Nun hat eine ähnliche Schreckenstat Indien erschüttert. Zwei Mädchen wurden im Bundesstaat Uttar Pradesh erst vergewaltigt und dann, wie zur Warnung, an einem Mangobaum im Dorf erhängt.

Fünf Festnahmen

Inzwischen wurden drei Verdächtige und zwei Polizisten festgenommen. Die drei Verdächtigen haben Geständnisse abgelegt. Sie müssten sich wegen Vergewaltigung und Mord verantworten, sagte ein Polizeibeamter am Sonntag. Die drei Cousins hätten sich aber noch mit Details zurückgehalten und angedeutet, dass es weitere Beteiligte gegeben habe. Nach zwei weiteren Verdächtigen werde gefahndet.

Die Opfer, zwei Cousinen, waren erst 14 und 15 Jahre alt. Eine Gruppe höherkastiger Männer hatte die Mädchen am Dienstagabend überfallen, als sie sich auf die Felder schlichen, um ihre Notdurft zu verrichten, weil sie wie Millionen Inder keine Toilette haben. Doch die lokale Polizei versuchte, das Verbrechen zu vertuschen und die Täter zu decken. Erst als Dorfbewohner sich weigerten, die Leichen vom Baum zu nehmen und Fotos der toten Mädchen durch Indiens Presse gingen, starteten Ermittlungen.

Indiens brutales Kastensystem

Der Doppelmord wirft ein Schlaglicht auf Indiens brutales Kastensystem. Die beiden Teenager waren laut Medien Dalits, Unberührbare, die bis heute ganz unten in der Hierarchie stehen. Am Wochenende kam es im ganzen Land zu Protesten. Die neue Regierung in Delhi von Narendra Modi ordnete eine Untersuchung an. Rahul Gandhi, der Kronprinz der oppositionellen Kongresspartei, reiste in den Tatdistrikt.

Knapp 200 Millionen der 1,2 Milliarden Inder gelten als Dalits. Obwohl sie rechtlich gleichgestellt sind, werden sie in weiten Teilen Indiens bis heute brutal unterdrückt und wie Vieh behandelt. Die meisten leben in bitterer Armut. Vergewaltigungen werden als Waffe benutzt, um Dalits zu terrorisieren. "Mitglieder höherer Kasten benutzen sexuelle Gewalt gegen Dalit-Frauen als politisches Instrument" , schreibt Amnesty.

Gesetzlose Regionen

Der Doppelmord spielte sich im Distrikt Badaun in Uttar Pradesh (UP) ab, einem der berüchtigtsten Bundesstaaten Indiens. Weite Teile sind gesetzlose Regionen. Regiert wird UP seit 2012 von Akilesh Yadav und seinem Vater Mulayam Singh Yadav von der Samajwadi Party (SP). Sie gehören dem mächtigen Yadav-Clan an. Schon seit langem macht UP mit brutalen Vergewaltigungen Schlagzeilen. Doch die Regierung lässt die Täter gewähren. "Jungs sind eben Jungs" , meinte Mulayam.

Neben Badaun sei es in der letzten Woche in zwei anderen Bezirken zu Verbrechen gekommen, berichtete der indische Onlinedienst DNA. In Azamgarh sei eine Minderjährige vergewaltigt worden, sie ringe mit dem Tod. In Etawah sei die Mutter eines Vergewaltigungsopfers nach einer Anzeige spitalsreif geprügelt worden. Die drei Distrikte haben eines gemeinsam: Sie seien Wahlbezirke der Yadav-Familie. Erst unter Druck stimmte Ministerpräsident Akilesh Yadav zu, den Mord an den zwei Dalit-Mädchen dem Central Bureau of Investigation, Indiens FBI, zu übergeben.

Im Dezember 2012 hatte die Gruppenvergewaltigung einer Studentin in einem Bus in Delhi zu Massenprotesten geführt. Die Regierung hatte danach die Strafen verschärft. Doch während in den Städten die Sensibilisierung wächst, sind Frauen auf dem Land weiter Freiwild. (Christine Möllhoff aus Neu-Delhi, DER STANDARD, 2.6.2014)