Strukturiert, klimatisiert, nachvollziehbar: So sehen die Lager der Arzneimittelgroßhändler aus. Fälschernetzwerke missachten sämtliche Sicherheitsregeln.

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Tabuthemen wie Potenzmittel, Diätpillen oder Haarwuchsmittel, Mittel gegen chronische Krankheiten, die man sich auf Vorrat kauft, oder einfach nur das Ziel, billig die eigene Hausapotheke aufzufüllen: Das sind die Hauptmotive dafür, dass Konsumenten Arzneimittel im Internet bestellen. Vor allem wenn es um Tabuthemen geht, blüht das Geschäft mit Fälschungen; im günstigsten Fall bekommt man eine Pille, die wirkungslos bleibt.

"Die sind skrupellos"

"Kopiert werden erfolgreiche Produkte meist in jenen Ländern Asiens, in denen auch die Pharmaindustrie produzieren lässt. Es gibt dort viele Menschen, die Informationen über Originalprodukte haben. Diese Fälscher wissen also, wie es geht, haben vielleicht Zugang zu alten Maschinen und Rohstoffen. Wenn etwas fehlt, nimmt man was anderes. Die sind skrupellos", sagt Gerhard Marosi, im Finanzministerium für Produktpiraterie zuständig. Im schlimmsten Fall können die so gekauften Produkte lebensgefährlich sein. Angetrieben wird das Geschäft durch die enormen Gewinnmöglichkeiten. Fälscher haben keine Entwicklungskosten und damit auch kein Risiko, und sie halten sich nicht mit Beipackzetteln auf.

"Der Arzneimittelbereich hat dem Suchtgifthandel längst den Rang abgelaufen", schätzt Hans Steindl, Kammeramtsdirektor der Apothekerkammer. Die Fälschungen nehmen dermaßen überhand, dass von Interpol nun ein eigener Fachausdruck dafür kreiert wurde: Pharmaceutical Crime. Es ist das Verbrechen, Arzneimittel zu fälschen und - meist via Internet - in Umlauf zu bringen. Gesundheitsorganisationen, Zoll und Polizei arbeiten zusammen, um den mafiös organisierten Fälschern das Handwerk zu legen.

Ein aktueller Coup flog vor wenigen Tagen in Frankreich auf. Bei einer Interpol-Aktion wurde ein weltweites Handelsnetzwerk gefälschter Medikamente in 111 Ländern geknackt. Dabei seien in den vergangenen zwei Wochen 237 Menschen festgenommen worden, berichtete die internationale Polizeiorganisation in Lyon. Medikamente im Wert von 26,4 Millionen Euro seien beschlagnahmt worden. Darunter waren Schlankheitspillen, Potenzmittel oder Erkältungsarzneien, aber auch Medikamente gegen Krebs. Mit dieser Aktion konnten mehr als 10.600 Internetseiten für den Handel geschlossen werden.

Kontrollen umgehen

"Die organisierte Kriminalität findet aber immer neue Wege", sagt Steindl. Vertrieben werden Fälschungen über professionell gestaltete Online-Portale, die den Konsumenten Seriosität vortäuschen. Und wenn eine Website gelöscht wird, taucht sofort eine andere auf. "Entweder werden die Produkte direkt aus Asien verschickt oder nach Europa geschmuggelt und aufgegeben", sagt Marosi. Im ersten Fall gibt es bei der Einfuhr nach Österreich eine Postkontrolle, und Produkte können abgefangen werden. Im anderen Fall werden große Mengen nach Europa geschmuggelt. Sind sie erst in der EU gelandet, ist keine Kontrolle mehr möglich.

Die Fälschungen werden zudem oft mehrfach zwischen verschiedenen Kontinenten hin und her transportiert, um Spuren zu verwischen. Jüngst wurden im Internet bestellte, gefälschte Arzneimittel an österreichische Konsumenten verschickt, als Absender wurden dabei nichtsahnende österreichische Apotheken angegeben, berichtet Steindl. Der Betrug flog auf, weil die Post falsch frankierte Pakete an die Absender retournierte.

Erreicht neue Dimension 

Das österreichische Finanzministerium berichtet in seinem aktuellen Produktpirateriebericht 2013, dass vergangenes Jahr 22.293 Tabletten vom Zoll abgefangen wurden. Vor wenigen Wochen erreichte ein Pharmaceutical Crime eine neue Dimension. In Italien versuchte die Fälschermafia manipulierte und wirkungslose Ampullen in die legale Lieferkette eines Parallelhändlers einzuschleusen.

Die Folge war ein weltweiter Rückruf eines Krebsmedikaments, das in Krankenhäusern verabreicht wird. Untersuchungen in allen heimischen Spitälern ergaben, dass die aus Deutschland nach Österreich eingeführten Produkte allesamt in Ordnung waren und die manipulierten Chargen in Deutschland verblieben sind. Wie genau das Netzwerk funktionierte und wer dahintersteckt, ist allerdings noch unklar.

Patentamtspräsident Friedrich Rödler appelliert deshalb auch an die Endkunden: "Wo kein Abnehmer, da auch kein Markt. Im öffentlichen Bewusstsein ist Produktpiraterie vielfach noch immer ein Kavaliersdelikt." Der wirtschaftliche Schaden und die Gefahren bis hin zur Gesundheitsgefährdung seien viel zu wenig bekannt. Apothekerkammerpräsident Max Wellan rät deshalb dazu, im offiziellen Handel einzukaufen: "Medikamente gehören in die Hände von Apothekern." (Martin Schriebl-Rümmele, DER STANDARD, 31.5.2014)