Monika Derecque-Pois ist Österreicherin, Betriebswirtin und lebt in Brüssel. Sie ist seit 2001 Generaldirektorin des europäischen vollversorgenden pharmazeutischen Großhandels.

Foto: Der Standard/Daniel Vegel

"Es sind altbewährte Medikamente, die von Nichtverfügbarkeit betroffen sind. Sie sind für Hersteller wirtschaftlich nicht mehr attraktiv", sagt Monika Derecque-Pois, Betriebswirtin und Generaldirektorin der pharmazeutischen Großhändler in Europa. Im Gespräch mit Karin Pollack erklärt sie grundlegende Mechanismen der Pharma-Logistik.

STANDARD: Was ist die Aufgabe des Pharmagroßhandels?

Derecque-Pois: Als vollversorgender pharmazeutischer Großhandel ist es unsere Aufgabe, sämtliche verfügbaren Medikamente am Markt innerhalb kürzester Zeit in jede Apotheke liefern zu können. Wir schaffen das durchschnittlich in 2,66 Stunden.

STANDARD: Warum bestellen Apotheken nicht selbst?

Derecque-Pois: Es gibt mehr als 3500 Medikamentenhersteller, es wäre für eine Apotheke logistisch unmöglich, direkt bei den Herstellern zu bestellen. Jede Apotheke müsste ihr Lager enorm vergrößern. Der Großhandel hat daher eine wichtige Bündelungs- und Lagerfunktion.

STANDARD: Was lagern Apotheken selbst?

Derecque-Pois: Eine österreichische Apotheke hat zirka 5.000 Arzneimittel auf Lager, darunter die Produkte, die oft und dringend gebraucht werden. Das ist trotzdem ein Bruchteil, insgesamt gibt es 100.000 verschiedene Arzneimittel in Europa - das würde jedes Lager sprengen.

STANDARD: Immer mehr Pharmafirmen schließen sich zu großen Konzernen zusammen. Wirkt sich das auf den Großhandel aus?

Derecque-Pois: Insofern, als sich die Branche konsolidiert hat. Auch die Zahl der Großhändler in Österreich ist von zwölf auf sieben geschrumpft. Es ist ein sehr kompetitiver Markt, in dem es um Lieferzeit, Service und Konditionen geht.

STANDARD: Braucht jedes europäische Land denn eigene Großhändler?

Derecque-Pois: Ja, denn Arzneimittelzulassung und -erstattung werden national geregelt und sind von Land zu Land unterschiedlich. Auch wenn die Medikamentenhersteller zusehends global agieren: Apotheken müssen regional versorgt werden.

STANDARD: Spüren Sie, dass die Gesundheitssysteme zusehends weniger Geld zur Verfügung haben?

Derecque-Pois: Das spüren wir durch unsere Sandwichposition zwischen Industrie und Apotheken, aber ganz besonders in Ländern, in denen unsere Entlohnung auf einer prozentuellen Spanne basiert. Wenn die Arzneimittelpreise durch diverse Marktmechanismen sinken, sind auch unsere Erträge betroffen, und wenn Apothekenspannen sinken, gerät das ganze System unter Druck. Die Vergütung im Großhandel ist in den letzten Jahren stark gesunken.

STANDARD: Großhändler nutzen Preisunterschiede und importieren Medikamente aus Niedrigpreisländern in teure Länder. Parallelimporte lautet der Fachbegriff. Sind Sie dafür oder dagegen?

Derecque-Pois: Unser Verband hat dazu eine neutrale Position. Parallelhandel ist in Europa erlaubt und findet statt. In letzter Zeit hat diese Praxis durch Exportverbote Einschränkungen erfahren. Davon betroffen waren Produkte, die in den jeweiligen Ländern eine dramatische Verknappung erfahren haben. Diese Exportverbote sind jedoch temporär.

STANDARD: Parallelhandel hat aber keinen positiven Ruf?

Derecque-Pois: Das kommt auf die Sicht der Dinge an. Es gibt Länder wie zum Beispiel Deutschland, wo ein gewisser Prozentsatz der abgegebenen Produkte aus dem Parallelhandel stammen muss, in England ebenfalls. Parallelhandel ist ein Instrument, um bei Medikamenten Einsparungen zu erzielen.

STANDARD: Warum kommt es immer öfter zu Verknappungen bei Arzneimitteln?

Derecque-Pois: Zum einen sind es produktionstechnische Gründe bei den Herstellern. Zudem werden auch die Produktionsstätten immer weniger, die meisten davon sind heute in Asien. Wenn es dort ein Problem gibt, spüren das alle. Seit 2013 wurde die Situation durch aufwändige Zertifikate für Active Pharmaceutical Ingredients (API) verschärft. Auch sie kommen großteils aus Asien.

STANDARD: In letzter Zeit kommt es nicht selten zu Arzneimittelverknappungen. Wodurch?

Derecque-Pois: Durch Ausschreibungen zum Beispiel, die zur Folge haben, dass ein Hersteller den gesamten Markt beliefern soll und kurzfristig dazu nicht in der Lage ist. Auch der Preisdruck bei Medikamenten ist ein Grund, warum Hersteller manche Produkte nicht mehr vermarkten.

STANDARD: Um welche Medikamente handelt es sich?

Derecque-Pois: Laut einer Studie der Europäischen Kommission sind vor allem Medikamente, die es schon sehr lange gibt, von der Nichtverfügbarkeit betroffen. Diese Medikamente sind bewährt und dadurch auch sicher, doch wirtschaftlich nicht mehr attraktiv.

STANDARD: Wie besorgniserregend sind Arzneimittelfälschungen?

Derecque-Pois: Wir engagieren uns seit Jahren im Kampf gegen Arzneimittelfälschungen und achten darauf, dass sie nicht in die legale Distributionskette gelangen. Um dies zu erreichen, haben wir in den fälschungsgefährdeten Ländern eine Reihe von Überprüfungen beim Wareneingang installiert. Doch professionelle Fälschungen sind schwer zu erkennen. Seit 2011 gibt es die EU-Fälschungsrichtlinie, derzeit warten wir auf die delegierte Rechtsakte der Kommission, um die weitere Marschrichtung vorzugeben. Es wird Seriennummern auf jeder Packung geben, die bei der Abgabe an Patienten auf Echtheit verifiziert werden.

STANDARD: Stellen Internet-Apotheken eine Bedrohung dar?

Derecque-Pois: Wir haben gerade eine Leitlinie für die Good Distribution Practice auf Schiene gebracht, die zu einer Verschärfung der Auflagen bei Lagerung und Transport führt. Ein Medikament ist keine x-beliebige Ware, sondern muss sehr sorgsam transportiert und gelagert werden. Diese Grundsätze werden in Zukunft auch von Internet-Apotheken zu beachten sein. (Karin Pollack, DER STANDARD, 31.5.2014)