Wien - Dienstag, der 16. März 1943, 19.30 Uhr, Brahms-Saal der Gesellschaft der Musikfreunde: Ein Abend mit "Heiterer Klaviermusik" ist angekündigt - und den Beginn macht, zusammen mit einem ebenso jungen Kollegen, der knapp dreizehnjährige Friedrich Gulda, Student des ersten Jahrgangs der Klasse Bruno Seidlhofer.
Das Programm dieses "Konzerts der Reichshochschule für Musik Wien" ist fast ausschließlich "deutsch". Nachzulesen ist es in einem neuen Buch, das gemeinsam mit einer Ausstellung an der Musikuniversität Wien (MDW) entstand - als erste umfassende Aufarbeitung der Vergangenheit dieser Institution in den sieben schwärzesten Jahren ihrer Geschichte. Initiiert hat beides die Musikhistorikerin Cornelia Szabó-Knotik - und zwar in erster Linie als Projekt von Studierenden im Rahmen einer Lehrveranstaltung und der anschließenden Umsetzung für die Öffentlichkeit.
Gleich zu Beginn verweist Szabó-Knotik im Gespräch mit dem Standard darauf, dass die Universitätsleitung diese Arbeit umfassend gefördert hat, was auch heute noch beileibe keine Selbstverständlichkeit darstellt. Die Ergebnisse zeigen die Schicksale und Machenschaften dieser Zeit von allen erdenklichen Seiten und machen die institutionelle Geschichte durch eine Reihe von Fallbeispielen greifbar: etwa Ernst Krenek (1900-1991), der mit seiner Oper Jonny spielt auf ein zentrales Feindbild für nationalsozialistische Agitation geliefert hatte und kurz vor dem "Anschluss" hellsichtig emigrierte.
Oder der Wiener Musikwissenschafter Alfred Orel (1889-1967), der die Abreise Kreneks in die "Länder des Internationalismus" freudig begrüßte. 1938 als kommissarischer Leiter der damaligen Staatsakademie setzte er die Personalpolitik der neuen Machthaber willfährig um: Bereits drei Tage nach dem Einmarsch von Hitlers Truppen im März wurden zehn Lehrkräfte wegen ihrer jüdischen Wurzeln "beurlaubt".
Monströse Heldenverehrung
Neben der Vertreibung, Verfolgung und Ermordung ihrer Angehörigen und des Widerstands, der sich auch hier formierte, wird aber auch die Einbettung der MDW, die bald in "Reichshochschule" umbenannt wurde, in das offizielle Musikleben ausführlich beleuchtet: der erschreckende "Normalbetrieb" inmitten des Grauens, der besonders den "deutschen" Klassikern eine monströse Heldenverehrung angedeihen ließ.
Ebenso plastisch wird - großteils anhand von Beständen des hauseigenen Archivs - ihr Anteil an der NS-ideologischen Kulturpolitik gezeigt. Diese, so Szabó-Knotik, ist als "Konglomerat übernommener musikalischer Wertvorstellungen begreifbar" und mache gleichzeitig deren konsequente Politisierung deutlich.
Für die wissenschaftliche Aufarbeitung waren und sind Zeitzeugen unverzichtbar, mit denen eingehende Gespräche geführt wurden. Die Musikhistorikerin musste allerdings feststellen, dass sich hier im Gedächtnis vielfach positive Erlebnisse während der Ausbildung und die Schatten der Vergangenheit überlagern: "Die politischen Auswirkungen der nationalsozialistischen Machtübernahme auf den Betrieb der Institution sind unzweifelhaft dokumentierbar, werden aber in den persönlichen Erinnerungen immer noch von der Arbeit am musikalischen Kunstwerk verdrängt."
Szabó-Knotik verweist auch darauf, dass die vielfachen Kontinuitäten, die die historischen Brüche 1938 und 1945 überdauerten und an die sowohl im Buch als auch in der Ausstellung vielfach erinnert wird, dabei gern ausgeblendet wurden: "Die Jahre 1938 bis 1945 als geschlossene Epoche zu begreifen war auch für den Musikbereich in der Zeit danach eine wesentliche Hilfe der Abgrenzung von den Traumata des Nationalsozialismus. Es sind nicht zuletzt solche Probleme, die wir thematisieren wollten." (Daniel Ender, DER STANDARD, 4.6.2014)