Matthias Marquardt, Carola Felchner

Das große Laufschuhbuch

Alles, was man über Laufschuhe wissen muss

Spomedis-Verlag 2014

Foto: Verlag

Hans Blutsch war skeptisch. Um es höflich zu formulieren. "Solche Bücher", sagte der Mann, dem ich in Laufschuhfragen blind vertraue, "sind schon am Tag ihres Erscheinens veraltet. Und unvollständig: Es ist unmöglich, in einem Test einen Überblick über alle Laufschuhe zu bieten." Das, räumte Wiens unangefochtener Laufschuhexperte ein, habe er selbst eingesehen - als er, "vor vielen Jahren", selbst überlegt hatte, "ein Buch über die Laufschuhe am Markt" zu verfassen.

Dennoch - oder gerade deshalb - war Blutsch neugierig. Schließlich schuldet es der Mann aus der Liniengasse seinem Ruf, einen Überblick über jene zu haben, die anderen einen Überblick geben wollen. Und wäre ein Buch, das sich "Das große Laufschuhbuch - Alles was man über Laufschuhe wissen muss“ nennt, nicht schon Grund genug, Blutschs Aufmerksamkeit zu erregen, wäre es der Name der medizinischen Hälfte des Autorenduos allemal: Matthias Marquardt ist schließlich nicht irgendwer - sondern der Autor der "Laufbibel" - und die gilt als DAS Standardwerk im Bücherregal jedes und jeder halbwegs ambitionierten Hobbyläufers und Hobbyläuferin.

Irritationen

Was Blutsch da so massiv irritierte, hatte auch mich verwundert: "Alle Klassiker und wichtigsten Neuheiten im Test“ lautet nämlich der als Aufkleber getarnte zweite Untertitel am Cover. Und Klappentext wie "Waschzettel“, also der Begleitbrief der Verlags-PR, ließen keinen Zweifel offen: "Mit dem 'großen Laufschuhbuch' behält jeder den Überblick im Laufschuh-Dschungel … neben den wichtigsten Neuheiten werden auch die beliebtesten Klassiker vorgestellt, kategorisiert und bewertet. (Somit) … ist ‚Das große Laufschuhbuch‘ ein unentbehrlicher Ratgeber für jeden Sportler und zudem eine praktische Kaufhilfe.“

Um es gleich vorweg zu nehmen: Das stimmt nicht. Nicht so, wie es beim ersten Lesen rüberkommt. Denn das von Matthias Marquardt gemeinsam mit der Fachjournalistin Carola Felchner (sie schreibt für "Triathlon“ und "Triathlon Training“  und ist Expertin für Hardware im Allgemeinen und - erraten - Laufschuhtests im Besonderen) kann eine Menge. Und ist Jedermann-Sportlern und Alltags-Athletinnen auch zu empfehlen. Nur: Kaufhilfe ist es keine.

"10 goldene Regeln"

Nicht zuletzt, weil Marquardt in der ersten Hälfte des Buches, die - so suggeriert es jedenfalls er Vorspann - von ihm allein geschrieben wurde, selbst darauf hinweist, dass nicht einmal dann, wenn man den eigenen Idealschuh - auf welche Art auch immer - gefunden hat, sicher ist, dass bei genau diesem Modell im Folgejahr nicht an Leisten oder Innenleben herumgebastelt wird. Die wenige Seiten später dann getesteten "Klassiker“ online zu ordern, weil man eh weiß, was man kriegt, ist wenig schlau: "Anziehen und Probelaufen ist unumgänglich - und notfalls auch das Abschiednehmen vom jahrelang gern gelaufenen Modell“, steht bei den "10 goldenen Regeln zum Laufschuhkauf“. Und ohne hochqualifizierte und fachkundige Beratung, betont Marquardt, läuft beim Laufen nix: Er schickt die Leser zur "Bewegungsanalyse“: "Achten Sie darauf, dass ihr Berater das Einmaleins der Biomechanik beherrscht und sie sinnvoll untersucht.“

Und das, obwohl er bis zu diesem Punkt fast 100 Seiten lang doch gut lesbar, eingängig und verständlich alles erklärt, was wissen wollen könnte, wer sich in die globale Riesenherde der Freizeit- bis Wettkampfläufer eingliedern will.  Und als Kunde überfordert vor dem Schuhregal steht, auf das die ungelernte Hilfskraft im Sport-Diskonter gezeigt hatte, als man sagte "Ich brauche Laufschuhe, bitte.“

Foto: Thomas Rottenberg

Von Geschichte über Schuhtypen

Das "große Laufschuhbuch“ beginnt mit Geschichte zum Megatrend und Sportschuhen (1928 erfand Adi Dassler den Spike-Schuh) und wendet sich dann rasch gängigen, verifizierten wie falsifizierten Thesen zu, wie ein Laufschuh zu sein hatte - oder heute noch sein muss/soll: Megadämpfer mit hochgezüchteten Stütz- oder Torsionssystemen versus Schuhen, die das "natürliche“ Laufen unterstützen etwa.

Um das zu verstehen erklärt "Das große Laufschuhbuch“ minutiös, was da wo wie in welchen Schuh-Typ eingebaut wird, was das alles (nicht) bringt - oder was es kostet. Sowohl in puncto Performance und Gesundheit, als auch pekuniär.

Klar: Die beliebten Standardvokabel („Hyperpronierer“, "Supination“ & Co) werden aufgedröselt. Erklärt wird auch, welche Leisten für welchen Typ passend sind. Oder sein könnten: Weil es halt keine allgemeingültigen Patentrezepte gibt. Allein die Tatsache, dass viele Schuhhersteller Schuhgrößen nach ihren ganz eigenen Umrechnunsgschlüsseln zwischen US-, EU- und UK-Normen berechnen, lässt im Grunde nur eine Conclusio zu: Probieren - mit Beratung.

Laufstil & Schnürungen

Hilfreich und sinnvoll ist es da natürlich allemal, zu wissen, worum es überhaupt geht. Und Tipps, welche Schnürung helfen kann, Blasen oder Druckstellen zu vermeiden, welcher Schuh- und Sohlentyp bei welchem Tempo auf welchem Untergrund blödsinnig wäre, wie man Laufschuhe pflegt und (nicht) wäscht und welche Fußprobleme immer ein Fall für den (medizinischen) Experten sind, auch.

Ebenso Grundlagen zum Laufstil: Dass Arm-, Hüft- und Rumpfstellung ebenso wichtig sind, wie Schrittfrequenz und -länge oder die grundlegende, individuelle Art, den Fuß aufzusetzen, spielt bei der Wahl des "richtigen“ Schuhs eine zentrale Rolle. (Und ist oft wichtiger, als alles pseudoschlaue Herumgetue.) Und selbst wenn man das alles so halbwegs über das eigene Laufen weiß (oder aus dem "großen Laufschuhbuch“ herausgelesen zu haben glaubt), empfehlen die Autoren den Gang zum Experten. Auf dass der noch akribisch austeste, was jetzt wirklich Sache ist. Was für Füße man eigentlich hat. Und welcher Schuhtyp wohl eher von vornherein ausscheiden dürfte.

Foto: Thomas Rottenberg

Nicht ohne Beratung

Denn den Schluss, den PR- und Klappentext suggerieren, findet man im eben Buch nicht: Niemand, der sich nach der Lektüre einreden könnte, jetzt tatsächlich verstanden und verinnerlicht zu haben, was Marquardt und Felchner an geballter Theorie niedergeschrieben haben, wird im Shop schnurstracks auf einen bestimmten Schuh zustiefeln und sagen: "Halleluja, da bist du ja, oh du mein Traumschuh!“ Eher im Gegenteil. Auch der "Test“ auf den hinteren Seiten sagt: Man kann auf diese Art Glück haben - aber viel wahrscheinlicher wird man voll daneben hauen.

Der Test-Teil des Buches schaut für mich im Grunde ein bissi nach einem Bussi für die Schuhhersteller aus. Damit die sich freuen, werden halt 50 Modelle beschrieben & klassifiziert. Aber so allgemein gefasst, dass nach dem Lesen jeder seinen Bekannten erklären kann, welche Zielgruppe der Hersteller anpeilte und welche Superduper-Mega-Gimmicks verbaut wurden.

Bloß: Welcher Schuh wirklich an den eigenen Fuß passt und ob er sich mit dem individuellen Laufstil verträgt, funktioniert halt doch nur auf eine Art: Mit professioneller Beratung - und einem Test mit den zwei einzigen Testern, deren Urteil auf lange Sicht dann aussagekräftig ist: Den eigenen Füßen. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 5.6.2014)