Seit dem 24. Jänner sitzt der angebliche Rädelsführer Josef S. in U-Haft. Dem 23-Jährigen werden mehrere Verbrechen zur Last gelegt, die im Falle seiner Verurteilung bis zu drei Jahre Haft zur Folge haben könnten. Jedoch sollte er auf freiem Fuße sein: Alle Fakten sprechen für den bisher unbescholtenen Studenten aus Jena.

Josef S. soll im Zuge der Demonstrationen gegen den Wiener Akademikerball am 24. Jänner 2014 an mehreren strafrechtlich relevanten Handlungen teilgenommen haben. Der Student aus Jena wird u.a. beschuldigt, als "Rädelsführer" zu Sachbeschädigungen bei den Anti-Akademikerball-Protesten angestiftet zu haben.

"Rädelsführerschaft"

Erkennbar als Rädelsführer war er – so die Angaben der Wiener Polizei –, da er einen schwarzen Pullover mit der Aufschrift "Boykott" trug. Dass wissenschaftliche Studien jedoch darauf hinweisen, dass es in den Reihen lose formierter DemonstrantInnen keine "Rädelsführerschaft" gibt, wird stillschweigend ignoriert. Doch das ist nicht der einzige wunde Punkt in der Anklageschrift zum Prozess, der am 6.6. verhandelt werden soll.

Der 23-jährige Deutsche ist nicht der einzige Betroffene der Nachforschungen der Wiener Staatsanwaltschaft. Gegen mehr als 500 Unbekannte wurde seit den Vorfällen im Jänner ermittelt. Das Verfahren gegen Josef S. jedenfalls strotzt nur so vor fragwürdigen Ermittlungsmethoden. Ein Belastungszeuge der Polizei hat kürzlich seine Aussage widerrufen, als sich herausstellte, dass es nicht der Angeklagte gewesen sein könne, den man glaubte auf einer Audiodatei hören zu können. Die Tondatei wurde jedoch erst auf Initiative der Anwältin genauer untersucht.

Fahrlässigkeit?

Dies weist auf grobe Fahrlässigkeit in den Ermittlungen der Justiz hin. Laut Anklage soll er außerdem auf einem Video zu sehen sein, wie er einen Abfallbehälter aufstellt, den er anschließend als Wurfgeschoß verwendet haben soll. Auf dem Video ist dies, laut Verteidigung, jedoch nicht zu sehen. Die Unschuldsvermutung, eine der höchsten Prämissen der Justiz, scheint für Josef S. nicht zu gelten.

Diese hätte bereits ab der ersten Sekunde für ihn sprechen müssen. 
Dass für ihn nicht "in dubio pro reo" galt, muss schon allein aufgrund der angewandten Methoden in diesem Fall stutzig machen. Alle Fakten sprechen dafür, dass hier nicht mit adäquater Verhältnismäßigkeit vorgegangen wurde: Der Staatsanwalt erteilte in den ersten fünf Wochen bloß "eingeschränktes Besuchsrecht" - obgleich die Gefahr der Verdunkelung nicht gegeben war. Anderswo muss man sich keine Sorgen machen, mehr als fünf Monate auf seinen Prozess im Gefängnis zu warten. Die Angehörigen der amtsbekannten, neonazistischen Fangruppierung "Unsterblich Wien", die im Oktober vergangenen Jahres die Räumlichkeiten des türkischen Migrantenvereins ATIGF stürmten, wurden jedenfalls nach der Identitätsfeststellung stante pede entlassen.

"Ob sie wegen schwerer Körperverletzung, Landfriedensbruchs oder eines anderen Vergehens angezeigt werden, wisse man erst nach Auswertung des Bildmaterials", hieß es dazu seitens der Polizei. Wie man sehen kann, stellt der Paragraf 274 einen passenden Gummiparagrafen dar, der willkürlich angewendet werden kann.

Gefährliche Methoden

Diese juristischen Methoden sind nicht nur auf lange Sicht gefährlich, sondern eines Rechtsstaats unwürdig. Der Arbeitskreis Grundrechte, der seit dem Akademikerball das Verhalten der Justiz genauer beobachtet, empfiehlt daher die Einhaltung der Verhältnismäßigkeit, wie auch die Wahrung der Grundrechte für alle Rechtsunterworfenen. Cicero sagte einmal, dass das arglistige Auslegen, das sich formal auf die Buchstaben des Rechts bezieht, ein Missbrauch des Rechts sei: "Summum ius summa iniuria." Auf die Spitze getriebenes Recht kann auch für Josef S. schwerstes Unrecht bedeuten. (Johannes Sarcher, David Kirsch, Leserkommentar, derStandard.at, 3.6.2014)