"Die letzten Tage der Menschheit": Erwin Steinhauer, Peter Rosmanith, Joe Pinkl, Pamela Kurstin, Georg Graf (v. re.).

Foto: Jan Frankl

Wien - Muss man Karl Kraus' Die letzten Tage der Menschheit gelesen haben? "Nein", sagt Franz Schuh. Weil: "Man muss gar nichts." Bei Karl Kraus falle die Verweigerung allerdings auf einen zurück, erklärt der Philosoph: "Es gibt viele Arten, sich selbst zu schaden - indem man zum Beispiel Die letzten Tage der Menschheit nicht kennt."

Für Einsteiger und Kenner gleichermaßen legen Franz Schuh und der Schauspieler Erwin Steinhauer das epochale Werk zum Weltkriegsjubiläum neu auf: als szenische Lesung kommenden Sonntag und Montag auf Ö1, auf diversen Bühnen im Juni und Juli und als Doppel-CD.

Die Bearbeitung der monumentalen Realsatire stellte beide vor Herausforderungen. Erstens: die Länge. Würde man den Wälzer komplett lesen, brauchte es zehn Abende. Auf 110 kompakte Minuten stutzten Schuh und Steinhauer das Buch zurück. Wie geht man da vor? "Es gibt gewisse Anhaltspunkte, was enthalten sein muss", sagt Schuh. Der Kaiser etwa, Hofrat Schwarz Gelber und Nörgler seien "unvermeidlich".

Am Ende der Tunnelblick

Darüber hinaus ging es Schuh um die verdichtete Dramaturgie: "Mir ist wichtig, dass am Anfang der Vorhang aufgeht und alle Möglichkeiten offen sind. Aber dann muss es bergabwärts gehen, enger werden, bis nur noch der Tunnelblick bleibt." Um das auf den Punkt zu bringen, braucht es Sorgfalt: Drei Monate bastelten die beiden an der richtigen Mischung.

Zweites Problem: Helmut Qualtinger. Seit den Schallplattenaufnahmen aus den 1960er-Jahren ist die Stimme des Kabarettisten untrennbar mit dem Werk verbunden. Steinhauer habe sich von dieser - Schuh zitiert Elias Canetti - "akustischen Maske" freigemacht". An den operettenhaften Gstanzln, vertont und gespielt von Peter Rosmanith, Georg Graf, Pamelia Kurstin, Joe Pinkl, zeige sich, wie "unfassbar musikalisch Steinhauer ist", sagt Schuh.

Ausflug in die österreichische Literatur

Mit Saxofon, Tuba, Cello und Melodica verbreiten sie schräg-schunkelige Untergangsfröhlichkeit. Diese Neuaufnahme ist ein sperriger, umso lohnenderer Ausflug in die österreichische Literatur. Es gibt einiges (wieder) zu entdecken, was heute bekannt vorkommen könnte. Schuh: "Kraus hat viel verstanden von der Ruinierung des menschlichen Geistes." (Doris Priesching, DER STANDARD, 4.6.2014)