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Der Männeranteil an Care-Berufen in Österreich liegt noch immer bei niedrigen 15 Prozent.

Foto: apa/Johannes Gellner

Ein Handbuch zum Immer-wieder-einmal-Nachschlagen ist die neue Publikation von Nadja Bergmann, Christian Scambor und Elli Scambor: "Bewegung im Geschlechterverhältnis? Zur Rolle der Männer in Österreich im europäischen Vergleich". In Band 5 der Wiener Beiträge zur empirischen Sozialwissenschaft finden sich u.a. der Männeranteil an Betreuung und Erziehung in Österreich im Vergleich zu Belgien oder jener an Hausarbeit und Kochen im Vergleich zu Norwegen.

Gerade einmal 230 Seiten umfasst das Taschenbuch und ist mit seinen über 40 Abbildungen und Tabellen doch reichhaltig wie ein Lexikon. Im Jahr 2010 hatte die Europäische Kommission eine EU-weite Studie in Auftrag gegeben, um erstmals die Rolle von Männern im Prozess der Geschlechtergleichstellung in allen EU- und EFTA-Ländern zu erfassen und einer Analyse zu unterziehen, die vorliegende Publikation macht sie für den österreichischen Kontext nutzbar. Der von den AutorInnen gewählte Zugang geht dabei von der Notwendigkeit aus, "Männer in Gleichstellungspolitiken einzubeziehen". Damit wird bewusst eine Gegenposition zu "gender means women", laut den AutorInnen jahrzehntelanger Subtext zur Geschlechtergleichstellung in Österreich, eingenommen.

Wie stellt sich die aktuelle Situation in Österreich hinsichtlich der Rolle von Männern in gleichstellungpolitisch relevanten Bereichen dar? Welche relevanten EU-weiten Trends und Erkenntnisse treffen auf Österreich zu, welche nicht? Was kann von anderen Ländern gelernt werden? Dies sind Fragen, die für die Bereiche "Burschen und Bildung", bezahlte Arbeit, unbezahlte Betreuungs- und Hausarbeit, Gesundheit, Gewalt und Gleichstellungspolitik in sieben Kapiteln durchdekliniert werden.

Boys Turn

Als sehr hilfreich erweist sich dabei die übersichtliche Gliederung, die jedem Kapitel gleichsam eine Zusammenfassung "Auf einen Blick" voranstellt. So gelingt ein Fokus auf die wesentlichen Punkte, die nach Belieben weiter vertieft werden können. So behandeln die AutorInnen zum Beispiel jenen "Benachteiligungsdiskurs, der Burschen als Bildungsverlierer thematisiert" – der sogenannte "boys turn" wird dabei nicht nur in Österreich, sondern auch auf europäischer Ebene betrachtet.

Interessantes Faktum: Die Zahl der männlichen Early School Leavers (ESL) ist in den letzten zehn Jahren leicht gesunken. "In Österreich, das durch eine geringe ESL-Quote gekennzeichnet ist, ist der Gender-Gap kaum vorhanden", so die AutorInnen. Die intersektionale Analyse zeige allerdings deutlich unterschiedliche ESL-Quoten für Burschen mit und ohne Migrationshintergrund. Diese Merkmale wiederum konfundierten mit dem Bildungslevel und der sozialen Lage der Eltern. Der Teufel sitzt also einmal mehr im Detail.

Qualitative Analysen belegten zudem, dass Burschen aus sozioökonomisch marginalisierten Milieus sich noch immer an Männlichkeitsmustern orientieren, "die durch eine Ablehnung intellektuellen Engagements charakterisiert sind, was in weiterer Folge schulischen Erfolg verhindert". Diese Analyse, gerade auch im EU-Vergleich, könnte zum Beispiel interessant sein, wenn es darum geht, das (Nicht-)Wahlverhalten von Jugendlichen beiderlei Geschlechts zu untersuchen. Es liegt mit dieser Publikation also ein Buch vor, das man bei diversen Gelegenheiten immer wieder gern zur Hand nehmen wird.

Nicht egalitär

Fazit der AutorInnen: "Europa ist derzeit noch weit entfernt von Geschlechterverhältnissen, die die Bezeichnung egalitär verdienen würden." Österreich lasse sich – so viel sei verraten – in Bezug auf viele Indikatoren zur Geschlechtergleichstellung im Mittelfeld einordnen. So werde hier eine der höchsten Männerbeschäftigungsquoten in Europa verzeichnet, wobei niedrig qualifizierte Männer immer stärker vom Erwerbssystem ausgeschlossen würden.

Der Männeranteil an Care-Berufen in Österreich (15 Prozent) sei in etwa so niedrig wie im EU-Schnitt (14 Prozent). Auch hinsichtlich des Wunsches nach vereinbarkeitskompatiblen Arbeitszeiten und der Teilzeitquote von Männern sei Österreich im EU-Durchschnitt. Zumindest sei "ein gewisses Veränderungspotenzial in Richtung Abkehr vom männlichen Ernährer-Modell" zu erkennen. (Tanja Paar, dieStandard.at, 4.6.2014)