Vor einigen Wochen waren wir mit unserem Film "Everyday Rebellion" in Kiew eingeladen. Nach der Vorstellung wollten wir gerne für die Webplattform des Films einige Impressionen auf dem legendären Maidan-Platz in Kiew aufnehmen. Eine Studentin und Aktivisten erklärten sich bereit, uns zu helfen und zu begleiten.
Der riesige Platz und die umliegenden Straßen sahen zwar aus wie ein Schlachtfeld, überall Barrikaden aus Autoreifen, Sandsäcken und Metallgegenständen, doch inmitten dieses Schlachtfelds verbarg sich sehr viel Wärme und Poesie. Ein Klavier, das jedem Vorbeigehenden zur Verfügung steht, kleine Campingzelte mit Feuerstellen davor und Menschen, die Wache halten, auf den Wänden Durchhalteparolen und humorvolle Witze über die Obrigkeit.
Die Menschen erzählten uns von ihrer Vorstellung vom Glücklichsein, und auch wenn es am Maidan eine patrouillierende nationalistische Soldatengruppe gab, war doch das Klavier der friedvollen AktivistInnen lauter als ihre Parolen. Dieses Gefühl, dass nicht die Extremisten, sondern die moderaten, demokratieliebenden Menschen die Mehrheit bilden, spiegelte sich nicht nur in unseren Interviews wider, sondern auch in der ersten Wahl, die nach dem Sturz Wiktor Janukowitschs am 29. Mai stattfand. Bei dieser Wahl haben die rechten Nationalisten von der Swoboda-Partei nur 1,6 Prozent und die Ultrarechten vom Prawi-Sektor nur lächerliche 0,7 Prozent der Stimmen erhalten.
Westliche Propaganda, die uns also vormachen will, dass die Revolution in der Ukraine von Nationalisten und Faschisten übernommen wurde, ist also mit Vorsicht zu genießen. Wie so oft sind die gewalttätigen eben lauter und auffälliger - und dadurch medial präsenter - als die moderaten Kräfte. Vor allem, wenn wir uns die Ergebnisse der Europawahl und den massiven Zuwachs rechtsextremer Parteien in Frankreich, Ungarn, Dänemark und Österreich, die zehn bis 30 Prozent der WählerInnen ausmachen, ansehen, müssen wir zugeben, dass es eher unsere Länder sind, in denen bald eine Mehrheit der Rechten die Macht ergreifen könnte, und nicht die Ukraine.
Einige Wochen nach unserem Besuch in Kiew gab es eine Open-Air-Vorstellung unseres Filmes in der Nähe des Maidan, und wir bereiteten aus den Aufnahmen, die wir gemacht hatten, diesen Kurzfilm (siehe oben) vor, der gemeinsam mit einer Videobotschaft der Femen-Aktivistin Inna Schewtschenko vor dem Film gelaufen ist.
(Arash und Arman T. Riahi, derStandard.at, 4.6.2014)