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Ein unverbindliches Spiel von Schwarz und Weiß rund um einen wächsernen Frauenkörper: Die Königin (Maria Schrader) blickt neugierig durch einen Papierspalt. Der Skandal blieb aus.

Foto: APA/Pfarrhofer

Wien - Das Wachspräparat einer Frau liegt auf dem Seziertisch. Auch ein morbider Rücken kann entzücken. Leider ist dem alabasterfarbenen Schaustück kein langes Leben beschieden. Kaum zwei Stunden lang währt die Neuinszenierung von Jean Genets Farce Die Neger, die Johan Simons für die Wiener Festwochen in München erarbeitet hat.

Und während das Spektakel rund um die nackte Dame kühl anmutet, verliert die wächserne Weiße beständig an Volumen und Kontur. Eine unspürbar bleibende Hitze zehrt an ihr. In dicken Tropfen platscht das geschmolzene Wachs auf den Boden.

Genets unter Rassismusverdacht stehendes Stück hatte Premiere im Theater Akzent, diesem säkularen Prachtbau der Wiener Gewerkschaftsgotik. Die Koproduktion soll nach Hamburg und nach München weiterwandern. Sie soll den Dichter Jean Genet als Dramatiker rehabilitieren helfen. Als Dichter ist der homosexuelle Außenseiter Genet (1910-1986) bestens beleumundet. Als Stückeschreiber ist er, mit Ausnahme der Zofen, vor allem ein bombastisches Gerücht.

Fragmente von Handlung

Eine Gruppe Farbiger, von denen jeder einen wenig schlichten Namen trägt ("Edgar-Hélas Ville de Saint-Nazaire ..."), führt unter den wie paralysierten Blicken einer weißen Hofgesellschaft ein Opferritual auf. Irgendwie scheinen alle Beteiligten dazu verdammt, die Zeit totzuschlagen. Was natürlich besser ist, als sich aus Gründen rassistischen Übelwollens gegenseitig umzubringen.

Eine Handlung blitzt höchstens in Fragmenten auf. Der Spielleiter der absurden Situation nennt sich Archibald. Er wird in Simons' Inszenierung von gleich zwei Schauspielern gemimt. Der schwarze Niederländer Felix Burleson gibt den guten Geist der Unternehmung und döst zufrieden auf seinem Schemel. Sein anderes Ich hat sich "Blackfacing" zuschulden kommen lassen. Stefan Hunstein ist Weißer. Beide tragen blaue Chorhemden und sind die Ministranten des Hochamts.

Fliegen sollen den Schwarzen aus dem Mund schwärmen. Solches spricht in somnambulem Entzücken "die Königin" (Maria Schrader). Sie selbst ist, wie alle anderen Figuren, von der Regie unkenntlich gemacht worden. Die weißen Herrscher tragen standesgemäß Masken aus weißem Pappmaché. Die Schwarzen müssen mit schwarzem Inkognito vorliebnehmen. Herren wie Knechte eint ab nun das Schicksal, austauschbar wie Insekten auszusehen. (Man denkt an mutierte Ameisen und macht sich instinktiv abwehrbereit.)

Die Folgen sind für das Interesse der Zuseher verheerend. Die Herrschaften oben auf der Bühne sprechen in wunderbar gespreizten Sätzen vom "Ohrenschmaus" ihrer "Zungenfertigkeiten". Der Schmaus ist wenig sättigend.

Das Hauptereignis der Neger wäre die von Genet verwendete Sprache. In Peter Steins kanonisierter Übersetzung bleibt diese entsetzlich blass. Die höhnischen Rollenspiele münden in einen fadenscheinigen Triumph. Jean Genets Konzept folgt dem Prinzip der Überbietung. Weil die Schwarzen ihre Widersacher nicht besiegen können, übernehmen sie deren Gepflogenheiten.

Die schwarzen Ameisen tragen merkwürdige Haarzierden, die an Kohlblätter erinnern. Manche von ihnen, wie der rührige Village (Benny Claessens), sind wie Gouvernanten gekleidet. Sie tragen Horrorgeschichten über das Töten weißer Frauen vor. Sie zeigen dem Hofstaat von Königin, Richter und Gouverneur, wie man minnt, wie man hübsch artig ist. Diese Gaukler bilden für die bestehende Ordnung überhaupt keine Gefahr.

Auf perforierten Papierstreifen (Bühne: Eva Veronica Born) erscheinen die Schatten von Freund und Feind. Sie erzeugen lila-blaue Umrisse. Jetzt müsste nur noch etwas passieren. Die Masken könnten fallen. Leichen purzeln umständlich durcheinander. Der stille Archibald (Burleson) bleibt mit seinem Päckchen Zigaretten übrig. Er könnte jetzt als Letzter das Licht ausmachen. Rauchen bildet für alle die größte Gefahr.

Die wächserne Dame ist auf den unumgänglichen Rest ihrer Ausdehnung zusammengeschrumpft. Das Publikum dankte, von seiner eigenen Geduld ergriffen. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 5.6.2014)