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Auch dass er der Fifa weitgehend kritiklos gegenübersteht, wird Pelé daheim in Brasilien angekreidet.

Foto: REUTERS/Gonzalo Fuentes

Die Top 20 Pelé-Goals.

Belo Horizonte / Wien – Der König träumte früher von einer Karriere als Schuhputzer. Heute scheffelt Pelé rund 25 Millionen Dollar pro Jahr. Als Siebenjähriger ging Edson Arantes do Nascimento durch die Straßen von Bauru bei São Paulo, um Geld zu verdienen. Drei Weltmeistertitel später kostet ein TV-Interview mit "O Rei" rund 50.000 Dollar. Pelé lächelt immer öfter sein berühmtes Lächeln nur noch für seine Werbepartner. Die Sorgen und Nöte seiner Landsleute scheint er nicht zu verstehen. Ihr König, er ist entrückt.

"Wenn Pelé schweigt, ist er ein Poet", sagt Romario. Wie viele Brasilianer ist der ehemalige Stürmer und heutige Politiker wütend auf den Helden von einst, weil Pelé vor Beginn der WM kaum Verständnis für die Massenproteste im Land aufbringt. Das große Fest des Weltverbandes Fifa möge bitte nicht gestört werden. Die Proteste seien "nicht gut. Die Politik und die Nationalmannschaft sind zwei verschiedene Dinge. Die Spieler können nichts dafür", sagt der 73-Jährige, der die meiste Zeit des Jahres in New York lebt.

Verrat

Doch das Volk will bessere Schulen und Krankenhäuser, eine funktionierende Infrastruktur und nennt den Nationalheiligen "Verräter" und "Vertreter des Großkapitals". Die längst geplante Installation einer lebensgroßen Statue des einstigen Ballkünstlers im Maracanã-Stadion, wo ihm vor 45 Jahren mehr als 100.000 Menschen nach dem 1000. Tor seiner Karriere zugejubelt hatten, wurde auf die Zeit nach der WM verschoben.

Im Rest der Welt wird Pelé längst mehr verehrt als daheim. Die WM soll auch seine WM werden. Pelé vermarktet seine eigene Legende bestens. Der Sohn eines gescheiterten Fußballers ist das WM-Gesicht eines Autoherstellers, eines Getränkeherstellers, einer Luxusuhren-Marke, aber auch einer billigen Sandwich-Kette. Für 5500 Euro kann man Diamanten kaufen, die aus seinen Haaren hergestellt wurden. Er hat ein neues Buch herausgebracht, ein neuer Film über den "Weltfußballer des 20. Jahrhunderts" wird vorbereitet. "Ich bin schwer beschäftigt", sagt Pelé.

Legende

Seit 1958 wird sein Name mit Fußballspektakel verbunden. Als 17-Jähriger führte er die Brasilianer zu ihrem ersten WM-Titel. Schon damals spielte er wie ein junger Gott. Zwei weitere Titel (1962 und 1970) sollten folgen. Keiner konnte sich mit ihm vergleichen. Als Pelé 1970 mit dem FC Santos einmal in Nigeria spielte, hielt das Morden im tobenden Bürgerkrieg für 90 Minuten inne. Alle wollten Pelé spielen sehen. Tarcisio Burgnich, der im Finale 1970 gegen Italien die undankbare Aufgabe hatte, Pelé zu bewachen, sagte hinterher: "Ich habe mir vor dem Spiel immer wieder eingeredet, dass auch er nur aus Fleisch und Blut besteht wie jeder andere Spieler auch – aber ich hatte mich geirrt."

Die Karriere nach dem Fußball war lukrativ, aber nicht ganz so glanzvoll. Als außerordentlicher Sportminister (1995 bis 1998) zieh er den damaligen brasilianischen Fußballverbandspräsidenten Ricardo Teixeira der Korruption – völlig zu Recht, wie sich herausstellen sollte. Pelés Einsatz für eine offenere Vermarktung von Fußballrechten erweckte aber Misstrauen. Wohl ebenfalls zu Recht, denn ein Erlass seines Hauses begünstigte Sportmarketing-Firmen, darunter natürlich auch die Agentur PelePro.

Selbstsicher

Noch immer hält sich deren Chef selbst für den Größten. "Es wird niemals einen neuen Pelé geben. Weil Gott nur einen Pelé, einen Beethoven, einen Michelangelo geschaffen hat", sagt er. Seine Erben hält er größtenteils für unwürdig, Brasiliens Trikot zu tragen. "Zum ersten Mal in der Geschichte hat die Seleção Probleme in der Offensive", sagt Pelé: "Ich sehe Neymar, aber ich sehe zum Beispiel keine starken Flügelspieler." Der Weg zur Hexa, zur sechsten WM, werde steinig.

Der alternde König träumt trotzdem von einer großen Party: "Seid zuversichtlich, denn es wird eine großartige und schöne Weltmeisterschaft." (sid, lü, DER STANDARD, 6.6.2014)