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Bürgermeister Giorgio Orsoni steht unter Korruptionsverdacht.

Foto: APA/EPA/Merola

Giorgio Orsoni ist nicht gerade das, was man sich unter einem Linkspolitiker vorstellt. Der 67-Jährige mit aristokratischer Ausstrahlung erhebt nie seine Stimme und spricht ein äußerst gewähltes Italienisch mit zahlreichen Begriffen, die für 20-Jährige eher wie Fremdwörter anmuten. Dass Venedigs Bürgermeister, der auch von seinen Gegnern geschätzt wurde, seit Mittwochabend unter Hausarrest steht, verdankt er einer politischen Dummheit. Denn an Orsonis Ehrenhaftigkeit zweifelt eigentlich niemand.

Bei der Gemeindewahl 2010 hat sein Wahlkampfleiter eine Spende angenommen, die für einen Bürgermeister nicht statthaft war. Von der Firmengruppe Consorzio Venezia Nuova wurden den Bevollmächtigten seines Wahlkampfkomitees in mehreren Raten rund 450.000 Euro überwiesen. Das Konsortium, das in der Lagune Venedigs ein schwimmendes Deichsystem zum Schutz vor Hochwasser errichtet, das bisher bereits 5,5 Milliarden Euro verschlungen hat, steht derzeit im Mittelpunkt eines gigantischen Korruptionsskandals. Mehr als zwanzig Millionen Euro sollen an Politiker, Richter, Minister und Vertreter der Finanzpolizei geflossen sein, einige von ihnen sitzen in Haft.

Einen Hausarrest in Orsonis Palazzo am Canal Grande würden viele Venezianer wahrscheinlich gar nicht so ungern akzeptieren. Orsoni residiert mit Blick auf die Rialtobrücke und die Universität Cá Foscari, an der er Verwaltungsrecht lehrt. Der angesehene Anwalt ist Präsident des alteingesessenen Ruderklubs Compagnia della Vela und Vizepräsident der Kulturstiftung Fondazione Cini.

Als der Partito Democratico 2010 einen geeigneten Kandidaten gegen den favorisierten venezianischen Wirtschaftsprofessor Renato Brunetta suchte, schien der angesehene Großbürger und Katholik Orsoni der geeignete Mann, um Stimmen im gemäßigten Lager zu sammeln. Der Sohn eines Bankdirektors siegte daraufhin prompt mit 51,13 Prozent.

Die Annahme der Wahlkampfspende bringt den Partito Democratico eine Woche vor den Stichwahlen in vielen Gemeinden in eine keineswegs beneidenswerte Situation. Während Italiens Premier Matteo Renzi, ebenfalls vom Partito Democratico, Maßnahmen zur Bekämpfung der allgegenwärtigen Korruption durchzusetzen versucht, findet sich Venedigs Bürgermeister groß auf allen Titelseiten über den Korruptionsskandal in der Lagunenstadt. (Gerhard Mumelter, DER STANDARD, 6.6.2014)