"Wir hatten noch nie so gute Beamte in dieser Stadt", sagt Hans Jörg Ulreich (3. v. re.) mit Blick auf Stadtrat Ludwig und MA64- Leiterin und Bauordnungs-Chefverhandlerin Cordula Donner.

Foto: Andy Urban
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Cordula Donner, Leiterin der MA 64: "Ein Mischsystem geht nicht. Man kann nur das eine oder das andere System nehmen."

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Hans Jörg Ulreich, Bauträgersprecher WKÖ: "Ich danke dafür, dass die Politik im lächerlichen Kampf gegen die Notkamine standgehalten hat."

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Die neue Bauordnung des Landes Wien tritt im Juli in Kraft. Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, Grünen-Planungssprecher Christoph Chorherr, Rathausbeamtin Cordula Donner, Architekt Christoph Mayrhofer sowie die Bauträgersprecher Hans Jörg Ulreich und Klaus Wolfinger diskutierten auf Einladung von Martin Putschögl über die Neuerungen.

STANDARD: Im Juli wird die neue Wiener Bauordnung in Kraft treten. Eigentlich sollte sie seit Jahresbeginn da sein. Was dauerte so lange?

Ludwig: Das hat mehrere Gründe. Einer davon ist, dass die Novelle eine der umfassendsten der letzten Jahre ist. Außerdem legten wir großen Wert darauf, möglichst viele Player mit einzubeziehen. Das ist uns, wie ich meine, auch gelungen.

STANDARD: Aus der Bauwirtschaft gab es aber in den letzten Wochen und Monaten auch einiges an Kritik daran, dass es eben nicht mehr möglich gewesen sei, in der Begutachtung etwas "einzubringen".

Wolfinger: Wir hatten diese öffentliche Begutachtung, aber als wir dann in den Apparat hineingehorcht haben, um zu eruieren, was davon noch umsetzbar ist, war die Aussage relativ klar: "Wir sind stadtintern und regierungsintern schon so lange in Diskussion, dass wir sie jetzt mal fertig machen müssen. Danke schön, reden wir später weiter."

Ludwig: Das betraf die neu eingebrachten Punkte!

Wolfinger: Na ja, schon auch anderes. Bei der Stellplatzverpflichtung weiß man als Praktiker, dass manche Dinge stärker zur Geltung kämen, wenn man hie und da ein bisschen nachgeschärft hätte.

Ulreich: Ein Beispiel: Dass nur noch ein Stellplatz pro 100 m² Wohnfläche nötig ist, ist ein großer Fortschritt, da brauchen wir nicht darüber reden. Jetzt hätte man's aber einfacher machen und sagen können: pro 100 m² Aufenthaltsraum ein Stellplatz, nicht pro Wohnfläche. Das wäre keine neue Geschichte gewesen ...

STANDARD: ... und wurde in Stellungnahmen angesprochen.

Chorherr: Die Diskussion wird auch in der nächsten Legislaturperiode weitergeführt werden müssen. Aber ich erinnere mich noch gut: Vor drei Jahren war der vehemente Wunsch vom Herrn Ulreich: "Flexibilisiert die Stellplatzverpflichtung!" Das ist jetzt erledigt. "Gebts die Notkamine weg!" - Erledigt. "Ermöglicht Balkone!" - Erledigt. Und dann die lange Diskussion über städtebauliche Verträge: Erledigt! Dass es ganz viele andere Dinge gibt, ist klar. Die Politik muss in so einem Prozess aber sehr viele Interessen moderieren und auch Position beziehen. Und ich hätte es nicht für möglich gehalten, wie viele Verbände es gibt, die Petitionen geschrieben haben, etwa beim Thema Notkamine. Da heißt es dann, dass in Wien alle erfrieren werden, wenn die große Krise kommt. Bei so etwas - jetzt beleidige ich sicher jemanden - relativ Läppischem wie dem Entfall des Zwanges der Errichtung von Notkaminen!

Ulreich: Ich habe die Bauordnung von Anfang an immer gelobt, und ich danke auch dafür, dass die Politik in dem wirklich lächerlichen Kampf gegen die Notkamine standgehalten hat. Dieser Kompromiss bedeutet nun, dass der gut sanierte Altbau keine Notkamine braucht - zumindest lese ich das so. Damit kann man leben, Thema erledigt. Nur, bevor's mich zerreißt, muss ich was anbringen: Vor fünf Minuten habe ich einen Anruf bekommen. In zwei Wochen habe ich eine Bauverhandlung für ein Projekt im 12. Bezirk, das ich vor eineinhalb Jahren eingereicht habe. Dort heißt es jetzt, die Stellplatzpflicht wird auch auf laufende Bauverfahren angewandt, und es gibt keine Anrechnung mehr im Altbau. Zur Erklärung: Derzeit wird das Haus als Ganzes gesehen. Wenn man unten zehn Kleinwohnungen im Bestand hat und die zu fünf zusammenlegt, dann im ausgebauten Dachgeschoß fünf neue Wohneinheiten schafft, bleibt der Saldo gleich, und man muss keinen Stellplatz um 8720 Euro - bald 12.000, denn das wird ja demnächst erhöht - ablösen. Jetzt aber soll es unten keine Gegenrechnung mehr geben, und 600 neue Quadratmeter oben bedeuten sechs Stellplätze. Für mich und alle anderen, die Nachverdichtung machen, heißt das eine Verschlechterung von zigtausenden Euro.

Donner: Sie wollen also unten mit der Anzahl der Wohnungen weiterrechnen - und oben mit der Anzahl der Quadratmeter? Das wäre dann aber ein Mischsystem. Man kann nur das eine oder das andere System nehmen.

Ulreich: Man kann's auch anders machen und sagen: Ich habe unten 20 Wohnungen, mal 100 m², sind 2000 m². Komme ich über das, muss ich ablösen, ansonsten nicht.

Donner: Man muss aber bei einer Berechnungsart bleiben.

Ulreich: Laut Gesetz nicht!

Donner: Doch. Entweder ich nehme die neue oder die alte Rechtslage. Ich kann die nicht beliebig mischen.

Ludwig: Das wäre ein Rosinenpicken.

Chorherr: Es gibt auch jetzt schon die Möglichkeit, die bestehende Stellplatzverpflichtung im Umkreis von 300 bis 500 Metern in einer bestehenden Garage zu erfüllen.

Wolfinger: Das ist gesetzlich tatsächlich so.

Chorherr: Auch in der Praxis!

Ulreich: In der Praxis eben nicht.

Wolfinger: In der Praxis setzen einige Bezirke alles daran, keine Ausgleichsabgabe vorzuschreiben.

Ulreich: Die Bezirke 5, 10, 12, 17.

Wolfinger: Im 16. hab ich's mal so, mal so erlebt. Und das sind Sachen, die in der Praxis wahnsinnig viel aufhalten.

STANDARD: Warum wurde diese Ausgleichsabgabe für Stellplätze, die man nicht selbst errichten kann, überhaupt erhöht?

Chorherr: Die wurde viele Jahre lang gar nicht erhöht. Das war grundsätzlich ein Fehler, denn dann sind die Erhöhungen natürlich entsprechend stark.

Wolfinger: Ich fand's mäßig elegant, wenn man im Februar, März die Begutachtung des ganzen Pakets macht, und dann zwei Monate später die Valorisierung kommt.

STANDARD: Die Gemeinnützigen hätten sich gewünscht, dass man Stellplätze, die innerhalb von zehn Jahren fünf Jahre lang leerstanden, umnutzt. Ist das denkbar?

Ludwig: Ja, das wird angedacht. Wir haben ein Gutachten in Auftrag gegeben, um zu prüfen, welche rechtlichen Möglichkeiten hier bestehen. Bei Stellplätzen in Garagen gibt's natürlich besondere Brandschutzauflagen, und es ist auch ein Problem, wenn man nicht weiß, was genau neben den Pkw-Stellplätzen gelagert wird.

STANDARD: Herr Mayrhofer, was sagen die Architekten zur neuen Bauordnung?

Mayrhofer: Für uns bedeutet sie einen Paradigmenwechsel, das muss man ganz klar sagen. Bis in die 60er-Jahre zurück ist jede Novellierung des Baurechts mit einer fortschreitenden Reglementierung einhergegangen. Jetzt passiert das erste Mal eine Deregulierung; vorsichtig, in gewissen Teilbereichen. Das ist für uns Planer aber eine ganz wesentliche Sache, denn da kommen einige gestalterische Freiheiten dazu: die Möglichkeit von Balkonen an der Baulinie oder an der Verkehrsfluchtlinie oder die Aufklappung bei Dachgeschoßausbauten. Und auch der Entfall der Notkamine ist natürlich nicht nur ein Kostenpunkt, sondern bringt auch mehr planerische Freiheit. Wir wünschen uns halt auch sehr, dass das jetzt nur ein erster Schritt war, dem noch weitere folgen.

Wolfinger: Für die nächste Novelle - denn die Zusage dafür nehmen wir natürlich gerne an - wünsche ich mir, dass wirklich ein Dialog geführt wird. So wie im Justizministerium: Wenn die Legisten dort ein neues Gesetz angehen, laden sie die Partner ein, und alle geben ihren Input. Ich denke, dieser Prozess wäre effizienter. Wir waren jetzt bei der Bauordnung schon ein bisschen spät dran mit der Möglichkeit der öffentlichen Begutachtung.

Ludwig: Wir haben uns jetzt schon aus der Diskussion heraus einige Punkte mitgenommen, die wir uns für eine weitere Novelle vorgenommen haben. Die jetzige Novelle ist nicht das Ende sämtlicher Diskussionen, sondern der Start neuer Veränderungen. Bauordnung ist ein permanenter Prozess.

Chorherr: Eine permanente Revolution!

Ludwig: Aber irgendwann mussten wir den Sack ganz einfach zu machen. Und ich glaube auch, dass die jetzige Novelle ein sehr gutes Beispiel dafür ist, dass wir in der Koalition sehr kooperativ zusammenarbeiten können.

Chorherr: Ich will noch auf eine Problematik hinweisen: Die Regelungsdichte ist nicht nur beim Bauen intensiv. Das Problem dahinter ist, dass die Ansprüche wachsen. Wenn ich mir anschaue, was heute alles von Nutzern geklagt wird. Am Ende heißt es immer: Wer ist schuld, wer haftet? Und wenn du nicht beweisen kannst, dass du alles akribisch genau getan hast, was notwendig war, dann stehst du vor dem Kadi.

Mayrhofer: Darüber klagen die Leute aus der Baubehörde auch immer wieder: dass bei Bauverhandlungen nicht mehr die Anrainer, sondern die Anwälte erscheinen.

Chorherr: Die Anwälte der Anrainer!

Ludwig: Das stimmt, Anrainer setzen heute ihre Interessen auch mit Anwälten durch - viel stärker als früher. Das gilt nicht nur fürs Baurecht, auch für die Nutzung des öffentlichen Raums. Wenn wir Kinderspielplätze errichten, haben wir ganz andere Haftungsfragen als noch vor zehn oder 20 Jahren.

Wolfinger: Das Wort Haftung ist etwas, wo ganz viele Menschen zusammenzucken. Das ist aber auch ein gesellschaftliches Thema, das man gar nicht legistisch lösen kann. Und ich glaube, dass jetzt auch etwas Zweites hinzukommt. Wir haben ein dynamisches Bevölkerungswachstum, und dafür das Bewusstsein in der Bevölkerung zu wecken, dass das ein für Wien positiver Prozess ist, ist noch ein "ongoing process".

Ludwig: Absolut! Und da würde ich mir auch wünschen, dass es in den Medien unterstützende Wortmeldungen von Ihrer Seite gibt, wenn wir uns als Politiker zu diesem Thema äußern. Denn es sind zwar alle dafür, dass die Stadt verbessert wird und die Bevölkerung zunimmt, aber wenn's dann konkret um eine Baustelle geht, wo einem Anrainer die Sicht vermindert wird, dann stehen wir als Politiker oft allein in der öffentlichen Diskussion. Und zum Thema Normen habe in meinem Ressort schon eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Es geht mir darum, dass wir uns ganz genau anschauen, wie wir als Stadt stärkeren Einfluss nehmen können auf die Gestaltung der Normen, von denen eine Verteuerung des gesamten Bauwesens ausgeht.

STANDARD: Herr Ulreich, diesbezüglich hat es auch von Ihrer Seite das selbstkritische Statement gegeben, dass in die Normungsausschüsse nicht immer die besten Köpfe reingeschickt wurden. Hat sich das mittlerweile gebessert?

Ulreich: Zumindest ich bin dann hineingegangen (lacht). Aber um etwas weiter auszuholen: Im OIB sitzen Landesbeamte, die von allen Bundesländern die schärfsten Regeln übernommen haben. So sind die OIB-Richtlinien zustande gekommen. Der massive Unterschied ist: Die OIB-Richtlinie ist Gesetz, die Norm kann man vertraglich vereinbaren. Bei den Normen wird die Industrie aber massiv überschätzt. Die sagen auch: Stellplatzverpflichtung reduzieren. Da sind alle mit uns d'accord. Und weil die Frau Donner hier ist, stellvertretend: Wir hatten noch nie so gute Beamte in dieser Stadt. Und es gibt kaum Korruption. Wir haben also Leute, die wissen, was zu tun wäre. Nur hängt das jetzt von Ihnen beiden Politikern ab. Soll man den Beamten sagen: "Wir brauchen viele Wohnungen für die dynamisch wachsende Stadt?" Oder soll man sagen: "Schaut, dass wir keine Haftung haben?"

Chorherr: In dieser Allgemeinheit sagt die Politik: Wir brauchen neue Wohnungen in entsprechend guter Qualität unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen. Wir können aber nicht sagen, dass die, die es schön machen, wie der Herr Ulreich, alles dürfen, und die, die es grauenhaft machen, gar nichts dürfen. Das ist rechtsstaatlich nicht ganz leicht exekutierbar. Und wir müssen damit rechnen, dass es ziemlich ungute Bauträger gibt, die nur aufs Ausquetschen des letzten Quadratmeters aus sind und jeden Beistrich in ihrem Sinne ausnützen.

STANDARD: Zum Schluss noch zu den Balkonen. Von denen wird's in Zukunft viel mehr geben können. Aber machen die nicht auch die Wohnungen wieder teurer?

Ludwig: Ja, aber in geringerem Ausmaß. Wenn man das in Relation zum Qualitätsgewinn sieht, ist das überschaubar.

Mayrhofer: Dieses Argument ist uns in der ganzen Begutachtung nicht begegnet, dass jemandem der Balkon zu teuer ist. Im Gegenteil war es bisher in vielen Lagen gar nicht möglich, einen adäquaten Freiraum zu schaffen.

Chorherr: Ich möchte da noch ein Rufzeichen dahinter machen: Das ist eine Zäsur, die in der Tat das Gesicht dieser Stadt verändern wird. Und wir sind schon gespannt darauf, welche Lösungen die Wiener Architektenschaft hier anbieten wird. Wie eine Fassade an der Straße aussehen kann, wo dann auch Leben in der Vertikalen stattfinden wird. Die Straße als Aufenthaltsraum, nicht nur als Verkehrsfläche, auch in der dritten Dimension.

Wolfinger: Ja, das ist grandios. Ich freue mich wahnsinnig, dass das nun im zweiten Anlauf geschafft wurde. Allerdings steht immer noch vor allem innerhalb des Gürtels in der überwiegenden Zahl der Plandokumente ein Balkonverbot drinnen. Dass in den nächsten zwei Jahren also die Balkone nur so rauspoppen aus den Fassaden, das wird nicht stattfinden. Wie man das rechtlich macht, weiß ich nicht.

Donner: Da es sich dabei um eine Bestimmung des Bebauungsplanes handelt, ist es denkbar, einen § 69 (Anm.: eine Abweichung von den Vorschriften des Bebauungsplanes) in Anspruch zu nehmen, sofern die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind. Wahrscheinlich wird die Argumentation der "zeitgemäßen Nutzung von Bauwerken" bei einer entsprechenden Begründung in einzelnen Fällen zielführend sein. Wesentlich ist aber auch, dass dadurch die Zielrichtung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes nicht unterlaufen wird. Man wird sich daher im Verfahren anschauen müssen, aus welchen Gründen diese Bestimmung in den Bebauungsplan aufgenommen wurde und welche Ziele damit verfolgt werden - insbesondere vor dem Hintergrund, dass Balkone über Verkehrsflächen ohnehin schon von Gesetzes wegen nicht zulässig waren. (DER STANDARD, 7.6.2014)