Fünf mal fünf Kilometer misst das Grundstück, auf dem sich Russlands Regierungschef Dimitri Medwedew eine Datscha errichten lässt. Innen soll es vor Gold und Marmor glitzern und glänzen.

Foto: Standard/Ballin

Auf das Sommerhaus von Wladimir Putin, das in Pljos direkt an der Wolga errichtet wird, kann man nur vom Fluss aus einen Blick werfen.

Foto: Standard/Ballin

Die Touristen kommen mit dem Schiff. Die großen Wolga-Kreuzfahrer legen am kleinen Hafenterminal an, die Besucher strömen heraus und überfluten die Handelsreihen der Kalaschnaja-Straße auf der Suche nach Banja-Mützen, Leinenhemden oder Magnetanhängern mit Wolga-Blick.

Die Aussicht auf den Fluss Wolga von den Hügeln der Kaufmannsstadt Pljos ist wirklich grandios, und auch der Blick auf Dächer und Kirchen der Stadt malerisch - buchstäblich. Bekannt gemacht haben Pljos nämlich Ende des 19. Jahrhunderts die Bilder des berühmten Landschaftsmalers Isaak Lewitan. Wenig hat sich seither verändert, und so gilt Pljos heute als Perle im Goldenen Ring, einer Reihe altrussischer Städte um Moskau.

Bauboom in der Gegend

Nun aber gibt es Bewegung im einst verschlafenen Nest: Die Straßen von der 70 Kilometer entfernten Gebietshauptstadt Iwanowo sind so eben wie sonst nur auf der Rubljowka, der von Luxusvillen geprägten Ausfallstraße Moskaus. Und auch der Bauboom hat die Gegend erfasst. Gebaut wird derzeit vor allem flussauf- und -abwärts von Pljos.

Dort haben sich zwei mächtige Nachbarn angesiedelt. "Wir befinden uns im Belagerungszustand", sagt ein älterer Gärtner in Pljos, der sich als Onkel Wanja vorstellt. "Links baut Dmitri Medwedew seine Datscha, rechts Wladimir Putin. Hinter uns liegt die Basis des Katastrophenschutzes", fügt er hinzu.

Medwedew entdeckte Pljos als Erster: 2008 legte die Präsidenten-Yacht Rossija in Pljos an. Er spazierte am Ufer entlang, besuchte den Yachtclub, speiste im Restaurant und besichtigte die Sehenswürdigkeiten, darunter auch das halbverfallene Gut Milowka bei Pljos. Medwedew gefiel es, und er griff zu. Dort lässt der Premier nun eine Datscha bauen. Datscha ist das russische Wort für ein Häuschen im Grünen, wo zwei Drittel der Russen bis heute ihr eigenes Obst und Gemüse anbauen.

Der Begriff Datscha ist freilich dehnbar. Im Fall der Medwedew-Datscha erstreckt er sich auf eine Fläche von fünf mal fünf Kilometern mit eigenem Hubschrauberlandeplatz. Erdäpfel pflanzt der Premier dort sicher nicht.

Die Prachtbauten, die trotz des vier Meter hohen Zauns zu erkennen sind, haben ebenfalls wenig gemein mit der üblichen Russen-Datscha. Drinnen soll es vor Gold und Marmor glitzern und glän- zen, angeblich fand sogar ein Schwimmbecken Platz.

Videokameras im Abstand von wenigen Metern und Uniformierte mit Kalaschnikows sorgen für höchste Sicherheit. Gesprächig sind die Bewaffneten am Tor nicht: "Nein, das wird kein neues Urlaubszentrum", sagt einer kurz. Wer der Eigner ist, will er nicht verraten, auch wenn es rundum bereits alle wissen.

Geheimniskrämerei gibt es auch um eine Riesenbaustelle fünf Kilometer weiter östlich. Einst hatte hier der Opernsänger Fjodor Schaljapin seine Datscha. Doch ein Bauarbeiter winkt ab: "Dort kommen sie nicht hin, alles abgesperrt", sagt der Mann, der wohl mehr weiß, als er preisgeben will. Seinen Angaben zufolge baut dort eine französische Firma, doch die Einheimischen wissen es besser. "Putin hat dort seine Datscha", sagen sie.

Nur vom Wasser aus sichtbar

Nur vom Wasser aus kann man einen Blick auf einen Teil der noch im Bau befindlichen Immobilie erhaschen. Alexej, der seinen Unterhalt damit verdient, dass er Touristen Pljos vom Motorboot aus präsentiert, ist bereit, für einen Obolus Putins Anwesen zu zeigen.

"Da drüben ist es", sagt er und zeigt auf einen halbfertigen Bau, während er in einigem Sicherheitsabstand abdreht. Das Haus dürfte einen prächtigen Blick auf die Wolga erlauben. Das Gebäude selbst ist hinter Kiefern und Birken versteckt. Die Ausmaße des Grundstücks beeindrucken.

Nicht als Vermögen gelistet

Pikanterweise tauchen beide Datschen weder in den Vermögenserklärungen Putins und Medwedews noch in der Liste der offiziellen Staatsdatschen auf. Vier offizielle Residenzen hat der russische Präsident: Neben dem Kreml gehört ein Anwesen im Gebiet Moskaus dazu, eines in Sotschi und eines im nordrussischen Waldai. Daneben gibt es noch rund ein Dutzend Residenzen, die halboffiziellen Status besitzen - die Datscha in Pljos zählt aber nicht dazu.

Für die Bewohner der Stadt sind die neuen Nachbarn ein zweifelhafter Gewinn. Die Grundstückspreise sind rasant gestiegen. Pljos ist zur beliebten Sommerresidenz für reiche Moskauer geworden, während die "Provinzler" weggezogen sind. Olga Wladimirowna, eine der wenigen Verbliebenen, nimmt die Veränderungen mit Wehmut hin: "Die neuen Villen sind sehr schön. Nur bei mir im Haus herrscht unterdessen der schönste Verfall", sagt die gut 80-Jährige. Dann geht sie auf einen Stock gestützt langsam in ihre altersschwache Hütte.  (André Ballin aus Pljos, DER STANDARD, 7.6.2014)