Vor 60 Jahren hat die Fifa auf die Insel der Seligen gerufen, in die vom Krieg nicht heimgesuchte Schweiz. Immer noch galten die Schemata der Zwischenkriegszeit. Daran konnte auch die WM vier Jahre zuvor nichts ändern: Uruguay, der erste Weltmeister überhaupt (1930), krönte sich gegen Gastgeber Brasilien zum zweiten Doppelweltmeister nach Italien 1938.
Als Favorit galten - nach der Demütigung der Engländer beim 6:3 in Wembley und dem 7:1 in Budapest unbestritten - die Ungarn. "Die Einzigen, die wir fürchten", sagte Ferenc Puskás, "sind die Österreicher." Die schmeichelten zurück. Deutschland - BRD - hatte niemand auf der Rechnung. Warum auch?
Ach Fifa!
Zum Beispiel, weil die Austüftlerkommission der Fifa einen Modus ausgetüftelt hatte, der alle den Kopf schütteln ließ. Die Gruppen waren in Gesetzte und Ungesetzte geteilt. Die einen spielten nur gegen die anderen, sodass am Ende zwei Spiele für den Aufstieg reichen sollten. Deutschland, ungesetzt, durfte ins Entscheidungsspiel gegen die punktegleiche Türkei, die gesetzt war. Sie hatte sich - per Los - gegen das gesetzte Spanien qualifiziert.
Österreichs Verbandskapitän Walter Nausch hatte alle Systemmöglichkeiten mobilisiert. In den Stab berief er den WM-System-Apologeten Eduard Frühwirth und Hans Pesser, der seine Rapid "brasilianisch "spielen ließ. Nausch kannte auch die Schweiz. Der Austrianer hatte sich 1938 mit seiner jüdischen Frau hierher in Sicherheit gebracht, in jenes Land, in das auch sein Präsident geflüchtet war, Emmanuel "Michl" Schwarz.
Die Hitzeschlacht
Die Partie entfaltete sich zur "Hitzeschlacht von Lausanne", dem bis heute torreichsten Match der WM-Geschichte. Das österreichische 7:5 gegen die Schweiz - Goalie Kurt Schmied kämpfte sich mit einem Sonnenstich durch die Partie, Wechsel gab es noch keine - war auch dramaturgisch gelungen: 0:1 Ballaman (16.), 0:2 Hügi (17.), 0:3 Hügi (23.); dann aber Österreich: 1:3 Wagner (25.), 2:3 Körner (27.), 3:3 Wagner (28.), 4:3 Ocwirk (32.), 5:3 Körner (34.) - so; aber: 5:4 Ballaman (41.); wieder hin: 6:4 Wagner (52.); und her: 6:5 Hügi (58.); und schließlich: 7:5 Probst (76.).
Das Turnier steuerte auf den Höhepunkt hin. Im Halbfinale wartete Deutschland, im Finale Ungarn. Showdown. Freilich kam Österreich gar nicht ins Finale. Deutschland - das sich gegen Norwegen und das damals eigenständige Saarland qualifizieren musste - war ohne Gnade: 6:1. Wur- de schließlich Weltmeister mit einem 3:2 über Ungarn. Friedrich Torberg verkündete daraufhin das Ende der Poesie im Fußball. Willy Meisl, der sich auskannte, wiegelte ab. Es sei bloß das Ende des Hexameters. Und so war es auch.
Seither: ein Antreten
Walter Nausch und die anderen trösteten sich mit einem 3:1 über Titelverteidiger Uruguay und damit dem dritten Platz. 1954 blieb Österreichs letztes Auftreten. 1958, 1978, 1982, 1990 und 1998 trat man bloß noch an.
Deutschlands Qualigegner Saarland trainierte 1954 ein gewisser Helmut Schön. Aber der ist dann schon wieder eine andere Geschichte. Nämlich die morgige. (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, 10.6.2014)