In einem kafkaesken Prozess drangsaliert die Justiz derzeit einen jungen Mann. Treffen will sie damit alle, die für Antifaschismus auf die Straße gehen.

"Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet."

Vor fast auf den Tag 90 Jahren ist Franz Kafka gestorben. Sein unsterbliches Werk "Der Prozess" ist aktueller denn je. Dieser Tage spielt sich ein ähnlich absurder Prozess am Wiener Landesgericht ab. Die Hauptpersonen tragen sogar denselben Vornamen. Weiter möchte ich die Ähnlichkeiten gar nicht bemühen.

Das übergeordnete Thema einer Justiz, die einen jungen Mann zu ruinieren droht, bleibt aber dasselbe. Allen, die den Prozess gegen den Antifaschisten Josef S. vor Ort oder im Live-Ticker von Maria Sterkl verfolgen, steht der Mund offen: Der Staatsanwalt agiert in Kabarettmanier, sich selbst widersprechende Zeugen, und der Richter kommentiert das Schauspiel mit Witzen.

Sie alle können keinen Beweis dafür erbringen, dass Josef S. am 24. Jänner bei den Demonstrationen gegen den WKR-Ball eine strafrechtlich relevante Tat begangen hat. Es gibt die Zeugenaussage eines Undercover-Polizisten, die voll von Widersprüchen ist, die in Teilen durch ein Stimmgutachten widerlegt wurde und die der betreffende Beamte auch wieder nach Bedarf abgeändert hat.

Auf keinem der zahlreichen Videos ist Josef S. zu sehen. Außer auf einem - dort stellt er einen Mistkübel wieder auf. Andere Belastungszeuginnen und -zeugen können nichts zu Josef S. sagen. Trotz dieses Fiaskos für die Staatsanwaltschaft urteilt der Richter, der Verdacht habe sich "erhärtet". Josef S. muss nach vier Monaten noch mindestens eineinhalb weitere in Untersuchungshaft sitzen. Kafka hätte daran durchaus seine Freude gehabt. (Wohl wissend, dass Kafka nicht so viele Freuden hatte).

Sündenbock für Tausende

Warum wurde Josef S. also verhaftet? Warum sitzt er in Untersuchungshaft? Die Antwort ist: Es geht nicht um ihn. An ihm wird ein Exempel statuiert. Denn die Untersuchungshaft und der Prozess sollen schon Teil der Strafe sein. Ähnliches haben wir bei den Tierschützerinnen und Tierschützern und bei den Refugees gesehen. Es geht um Abschreckung. Antifaschismus soll anrüchig werden. Denn in den letzten Jahren gab es immer größere und erfolgreichere antifaschistische Mobilisierungen quer durch alle linken und sogar zivilgesellschaftlichen Spektren.

Mit Erfolg: Der lange verdrängte WKR-Ball wurde zum Tagesthema. Plötzlich wurde über die Bedeutung rechtsextremer Treffen in Österreich für die gesamteuropäische Szene diskutiert. Das schmeckt vielen nicht, vor allem den autoritären Teilen des Staatsapparats. Und plötzlich geht die Repressionskeule auf die Antifaschistinnen und Antifaschisten nieder. Die öffentliche Hetze wird auch von vermeintlich linken Blättern mitgetragen. Vor Gericht geht der Staatsanwalt so weit, von "kriegsähnlichen Szenen" zu sprechen. Damit verhöhnt er all jene Menschen, die Krieg tatsächlich erlebt haben. Ihm ist zu wünschen, dass er nie selber erfahren muss, wie geschmacklos diese Übertreibung ist.

Demo soll kriminalisiert werden

Ein klareres Urteil erhält, wer über die Grenzen blickt. Die BBC sprach noch am 24. Jänner von "minor incidents" auf der Demo. Deutsche Zeitungen von "Spiegel" bis "taz" thematisieren heute die Bedeutung der Hetze und des Balls für den Prozess.

Es geht also nicht darum, was Josef S. gemacht hat. Aber Josef S. wurde schon verurteilt, bevor der Prozess begonnen hat – ganz wie bei Kafka. Antifaschistische Strukturen sollen zerschlagen werden. Antifaschistinnen und Antifaschisten sollen eingeschüchtert werden. So etwas passiert historisch interessanterweise immer genau dann, wenn es einen lautstarken Antifaschismus bitter nötig hätte. Gestraft wird Josef S., gemeint sind wir alle. (Natascha Strobl, Leserkommentar, derStandard.at, 12.6.2014)