Ein Interview mit Chronologie der Postingdebatte (unten).

STANDARD: Seit ein paar Wochen befeuern der „Profil“-Herausgeber, ein prominenter PR-Experte, ein Branchenmagazinverleger und mit ihnen eine Reihe von Verlegern, voran „Österreich“, „Heute“ und „Krone“, eine Debatte über „Hasspostings“ und verpflichtende Klarnamen. Just ihr gemeinsames Hauptziel, die STANDARD-Gruppe mit derStandard.at und seiner Online-Community, hielt sich bisher sehr zurück. Warum eigentlich?

Mitteräcker: Wir haben die Debatte über Klarnamen schon vor Christian Rainer und seinen Kollegen intensiv geführt - zuletzt etwa voriges Jahr, als eine STANDARD-Autorin das in unseren Medien thematisierte. Der Nickname-Skeptiker Armin Wolf schrieb anschließend: „Bis vor kurzem dachte ich, dass das vor allem mit der Anonymität der Poster zusammenhängt, unter deren Schutz manche einfach hinausrotzen, was ihnen lustig ist. Ich habe jedoch in Diskussionen der letzten Wochen gelernt, dass Klarnamen das Problem wohl nicht lösen würden.“ Wir hatten zu diesem Zeitpunkt bereits eine eigene Abteilung „User-generated Content“ gestartet und machen dank dieser kontinuierliche Fortschritte hinsichtlich der Qualität. Gerade wegen unserer Moderation werfen uns Posterinnen und Poster häufig übermäßige Zensur vor - da gilt es, die Balance zu halten. Die gegenwärtige Diskussion hat bislang keine neuen Erkenntnisse gebracht.

STANDARD: Warum gibt es noch immer - zumindest - beleidigende und herabwürdigende Postings?

Bergmann: Weil wir in Echtzeit arbeiten. Es ist wie bei einer öffentlichen Veranstaltung: Niemand kann im Voraus garantieren, dass nicht ein Flitzer seine Kleider vom Leib reißt. Deshalb wird man aber nicht Fußballturniere abschaffen.

Mitteräcker:  Wir wissen, dass wir hier in einem kontinuierlichen Entwicklungsprozess sind, um unserem eigenen Qualitätsanspruch gerecht zu werden. Das können wir nur mit Crowdsourcing, intelligenten Algorithmen und einer ordentlichen Portion menschlicher Arbeitskraft erreichen. Wir halten derzeit bei 20.000 Postings pro Tag, und ständig werden es mehr. Zwischen 1000 und 2000 werden täglich gelöscht.  Regelmäßig kontaktieren uns internationale Medien, um von unseren Erfahrungen zu lernen, wie diese Mengen zu managen sind. Jeder ist herzlich eingeladen, konstruktive Vorschläge abzugeben, wie wir hier als Medium unterstützend eingreifen können, um den Diskurs zu fördern und die Qualität der Debatte zu erhöhen.

Bergmann: Wahrscheinlich stehen wir im Zentrum der Diskussion, weil wir das größte Forum haben. Auf der großen Autobahn gibt es mehr Unfälle als in der kleinen Nebenstraße.  Das Problem haben wir ja alle. Die Frage ist: Wie können wir eine öffentliche Diskussion in Echtzeit führen und dafür sorgen, dass nicht Einzelne das Niveau hinunterziehen.

STANDARD: Aber was spricht dagegen, dass sich Poster mit ihrem echten Namen deklarieren müssen?

Mitteräcker: Klarnamen sind gegenwärtig nicht garantierbar, im Gegenteil, sie bieten ein weiteres Feld für Manipulation, welches wir als durchaus gefährlich einschätzen. Man darf nicht vergessen, dass die geringe Menge an Personen, die uns in den Foren tatsächlich Probleme bereiten, über einiges an Kreativität, Geschick und eine gehörige Portion destruktiver Energie verfügen. Die werden auch durch eine Klarnamenpflicht nicht eingebremst, eher herausgefordert.

Bergmann: Es gilt auch, ein wichtiges Element nicht kaputt zu machen: Viele Missstände und Skandale werden nur publik, weil die Informanten geschützt sind. Pseudonyme verhelfen Menschen dazu, ihre Meinungen und Erlebnisse zu artikulieren, ohne dass sie Konsequenzen durch ihren Arbeitgeber, die Politik oder ihnen auflauernde Mitbürger befürchten müssen. Wir müssen auch so realistisch sein zu sehen, dass man, selbst wenn in den USA als Musterland der freien Welt lebt, um politisches Asyl in Moskau ansuchen muss, wenn man mit eigenem Namen einen wirklichen Skandal aufdeckt.

STANDARD: Der Gedanke hinter der Klarnamendebatte ist offenkundig: Unter dem eigenen Namen würde man sich Verbalinjurien lieber zweimal überlegen.

Bergmann: Twitter und Facebook beweisen, dass das nicht stimmt. Tatsächlich finden Shitstorms wie jener gegen Elke Lichtenegger oder Mario Plachutta, Anfeindungen, wie sie nun Conchita Wurst erleben musste, oder regelmäßiges Mobbing zwischen Schülern auch und vor allem auf Facebook mit vollem Namen statt. Man kann jetzt lange darüber diskutieren, ob das Internet die Verrohung unserer Umgangsformen verursacht hat, die Anonymität war es jedenfalls nicht. Tatsächlich ist bei unsren Postern von Anonymität ohnehin keine Rede , da eine Registrierung samt E-Mail-Validierung zwingend erforderlich ist. Die Leute treten unter Pseudonymen in Erscheinung und können, beispielsweise auf richterliche Anordnung, durchaus ausgeforscht werden.

STANDARD:  Branchenverleger Christian Mucha nutzte nun seine jährliche Würdigung von Marketingleitern im „Extradienst“, um viele hundert Marketingverantwortliche von Unternehmen in Österreich anzuschreiben und aufzufordern, nicht mehr bei Unternehmen zu inserieren, „die gar anonyme Poster unter den Schutz des Redaktionsgeheimnisses stellen“. Gab es schon Stornos?

Mitteräcker: Nein, warum auch? Mucha fordert ja auf, Plattformen zu boykottieren, die anonyme Hasspostings fördern. Wir wollen keine, weder anonym noch mit Klarnamen. Es wird viel Aufwand betrieben, diese so gut wie möglich herauszufiltern. Das scheinen die von Herrn Mucha angeschriebenen Marketingleiter schon sehr klar unterscheiden zu können, besser als er selbst.

Die STANDARD-Vorstände Wolfgang Bergmann (links) und Alexander Mitteräcker.

Fotos: Matthias Cremer, Robert Newald

Postings, Klarnamen, Shitstorms - Szenen einer Debatte

Profil-Herausgeber Christian Rainer eröffnet am 12. Mai mit dem Leitartikel "Shitstorm stinkt" die jüngste Debatte über Klarnamenpflicht. Anlässe: Shitstorms gegen Elke Lichtenegger von Ö3 und Mario Plachutta.

Unter dem Leitartikel posten...

Foto: Repro aus Profil

... auf profil.at "profilleserin", "ehschowissen", "Wulpe", "Außerirdischer und...

(Im Bild: Rudi Kleins Shitstorm-Illu zum Leitartikel)

Foto: Repro aus Profil Illustration Rudi Klein

"RichieBlogfriedAnonymous" fragt unter Rainers Leitartikel, warum er auf profil.at nicht unter seinem richtigen Namen posten kann, sondern einen Nickname braucht.

Rückblende: Schon 2013 sorgte Julya Rabinovich mit einem Beitrag im STANDARD für eine heftige Debatte über  Anonymität und Postings. Armin Wolfs Erkenntnisse damals: „Bis vor kurzem dachte ich, dass das vor allem mit der Anonymität der Poster zusammenhängt, unter deren Schutz manche einfach hinausrotzen, was ihnen lustig ist. Ich habe jedoch in Diskussionen der letzten Wochen gelernt, dass Klarnamen das Problem wohl nicht lösen würden – v.a. von Falter-Redakteurin Ingrid Brodnig, die gerade ein Buch zum Thema schreibt, und von Blogger Helge Fahrnberger.“ Schon damals fand Wolf: „Gegen die Foren der „Krone“, der „Presse“ oder der „Kleinen“ ist jenes des Standard meist ein gehobener Literatur-Salon.“

Foto: Screenshot

Phase 2 Am 14. Mai 2014, zwei Tage nach "profil", verkündet Wolfgang Rosam, mit seiner Rosam Change Communications einer der größten PR- und Lobbyingunternehmer des Landes, seine Initiative für Klarnamenpflicht, genannt "Die Meinungsmutigen." Mit drei Rufzeichen betont er, dass er die Initiative ohne Auftrag startet.

DER STANDARD berichtet von Rosams Aktion am nächsten Tag, später auch andere Zeitungen.

Besonders schnell tut das auch "Heute" (Bild) unter Verweis auf die STANDARD-Foren. Der Artikel in "Heute" ist übrigens nicht namentlich gekennzeichnet.

Foto: Repro aus Heute

Falter-Medienchefin Ingrid Brodnig hat gerade ein Buch über Anonymität im Netz geschrieben. Sie widerspricht in ihrem Blog noch am 14. Mai Rosam und Rainer. Die "gehen beide davon aus, dass Shitstorms in erster Linie von anonymen Usern losgetreten werden, dass es ohne die Anonymität nicht zu dieser kollektiven Wutentladung käme. Doch das ist falsch, wie zuletzt der Shitstorm rund um Ö3-Moderatorin Elke Lichtenegger zeigte. Die hatte mit einem achtlosen Satz für ungeheure Empörung gesorgt. Doch wo fand der Shitstorm statt? Im anonymen Internet nur zum Teil: Der Shitstorm rund um Elke Lichtenegger wütete auf Facebook, dort wo die meisten User mit realem Namen unterwegs sind (hier berichtete ich über den Fall Lichtenegger). Und tatsächlich posteten viele auch extrem Verletzendes unter dem sogenannten 'Klarnamen'."

Foto: Screenshot

"Österreich" kombiniert die Posting- und Klarnamendebatte recht plakativ mit angeblichen Morddrohungen per Mail an Conchita Wurst. Die Zeitung hatte übrigens schon eine Kolumne, als deren Autor "Amadeus" ausgewiesen wurde."Österreich"-Herausgeber Wolfgang Fellner kündigt für sein Portal oe24.at Klarnamenpflicht ab Juni an. Am Freitag, dem 13. Juni, posteten dort noch "Hahaha........." und "Holzauge" auf der Seite.

Foto: Repro aus Österreich

Die "Krone" springt einen Tag später auf, der Artikel übrigens auch nicht gezeichnet. "Krone"-Gründer Hans Dichand schrieb über Jahrzehnte in seiner Zeitung nur unter Pseudonymen wie "Cato", "Aurelius", "Noricus" (den Nickname übernahm später Andreas Mölzer in der "Krone"), auch unter "Erwin Togger" publizierte Dichand senior gerne.Neben dem autorenlosen Artikel aber kommentiert Claus Pándi unter seinem Klarnamen "Hetze im Netz": "Für die 'Krone" als größte Tageszeitung des Landes ist es selbstverständlich, diese Initiative zu unterstützen.' Freitag waren noch viele Nicks auf krone.at unterwegs, und nicht nur die freundlichsten.

Foto: Repro aus Krone

Michael Fleischhacker befragt Rosam für die Juni-Ausgabe von "Datum" zur Klarnamen-Initiative. Rosam berichtet dort etwa von einem zufälligen Treffen mit Christoph Dichand vor seiner Aussendung, der ihm versichert habe, er werde bei krone.at etwas in Sachen Foren unternehmen. Rosam berichtet auch, er wollte unter einem Nickname im STANDARD-Forum "einen vernünftigen Beitrag zu einem Pharma-Thema zu liefern", stieß aber auf Ablehnung.

Foto: Repro aus Datum

Blackbox-Gründer Michael Eisenriegler fordert auf Facebook eine "Deklarierungspflicht für hidden-agenda-setter".

In seinem Blog beschreibt Eisenriegler, wie er als Gründer des Wiener Internetproviding-Pioniers Blackbox über Jahre aufwändig versuchte, Klarnamen durchzusetzen - und doch wurde diese Vorgabe immer wieder erfolgreich umgangen.

Foto: Screenshot

Phase 3

Christian W. Muchas Branchenmagazin Extradienst würdigt Österreichs Marketingchefs alljährlich mit einem Ranking. Mehr als 880 von ihnen gratulierte Verleger Christian W. Mucha zur Nominierung - und forderte sie diesmal bei der Gelegenheit auf, bei Medien mit Postings unter Pseudonym nicht zu werben (Werbesujet links).

Foto: Repro aus Extradienst

Im Editorial ruft Mucha zum "Werbe-Boykott" auf.

An derselben Stelle hat Mucha übrigens 2011 angeprangert, dass der Standard bei ihm nur in Form von Gegengeschäften buchen wolle und nicht bezahlt.

Foto: Repro aus Extradienst

"Profil" bringt eine Liste von Unternehmen, die laut "Extradienst" Muchas Aktion unterstützen.

Foto: Repro aus profil

Die Website dazu stoppt er vorerst wieder, er begründet das mit Drohungen und weil sein Twitter-Account gehackt worden wäre. Auf Twitter hatten sich tatsächlich Menschen mit seinem Namen angemeldet.

Foto: Screenshot Extradienst.at

Auf Muchas vorerst wieder gestopter Kampagnenseite eklat.net meldeten sich Userunter Pseudonym an - ein Journalist als "Christian W. Mucha".

Sehr detailverliebte Menschen könnten Mucha unterstellen, er schreibe auch unter einem selbst gewählten Namen. Laut Firmenbuch heißt der Verleger jedenfalls Wolfgang Christian Mucha.

Donnerstag beschwerte sich "Die Red." auf extradienst.at übrigens ohne Klarnamen über die "Verschweigetaktik" des STANDARD zu ihrem Boykottaufruf.