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Blockbuster-Videospiele sind geprägt durch "Angry white dudes" - es ist Zeit für differenziertere Charaktere.

Foto: REUTERS/Jonathan Alcorn

Paris in den Wirren der französischen Revolution, ein riesiges Spielfeld mit beeindruckend nachgestalteten historischen Schauplätzen, überwältigende Menschenmassen, aufwendige Animationen und Voice-Acting vom Feinsten: Der nächste Teil von Ubisofts “Assassin's Creed“-Reihe verspricht spektakuläres Hochglanz-Gaming. Mehrere Jahre ist der AAA-Titel schon in Entwicklung, bis zu neun Entwicklerteams sollen daran gleichzeitig gearbeitet haben. Kurz: ”Assassin's Creed: Unity“ soll eines der großen Schlachtschiffe des Triple-A-Gamings des Jahres werden, mit generösen Budgets für Entwicklung und natürlich PR.

Umso bedauerlicher, dass offensichtlich nicht für alles genug Geld da war. Im Gespräch mit der Branchenseite Videogamer am Rande der E3 offenbarte Technical Director James Therien, dass es im mittlerweile siebten Teil der Erfolgsserie diesmal auch im Coop-Modus leider keine weiblichen Spielfiguren geben würde: “Das war bis vor kurzem noch auf der Feature-Liste, aber ein weiblicher Charakter bedeutet, dass wir viele Animationen und Kostüme neu machen hätten müssen. Es hätte die Arbeit an diesen Elementen verdoppelt. Also haben wir eine Entscheidung getroffen. Das war keine Frage der Philosophie oder der Wahl. Es ist schade, aber das ist die Realität der Spielentwicklung.“

A Man's World

Dass diese “Realität der Spielentwicklung“ im Jahr 2014 an der Realität der Spielerschaft zunehmend vorbeigeht, geht im Rausch der E3, der wichtigsten Spielemesse des Jahres, im geteilten Enthusiasmus oft einmal unter. Generell ist diese größte Zusammenkunft der Großen der Branche der falsche Ort für Reflexion, und fast jährlich trifft diesbezüglich geäußerte Kritik das Freudenfest der Games-PR recht unvorbereitet. Wie auch vor zwei Jahren, als Branchen-Urgestein Warren Spector auf die ungesunde Gewaltfixierung des Games-Mainstreams hinwies – es war außerdem das Jahr, in dem die Entwickler des „Tomb Raider“-Reboots mit haarsträubend gedankenlosen Aussagen zum Thema Vergewaltigung für Aufsehen sorgten. Kris Graft vom Branchenblog Gamasutra fasste seine Desillusionierung mit der E3 damals in ernüchterte Worte: “Auf der großen Bühne in LA, auf dem Event, das man als ‘Super Bowl of Video Games’ bezeichnet, haben die weltgrößten Games-Publisher klar gemacht, wer für sie das Zielpublikum für hunderte Millionen Dollar Investment ist: Blutrünstige, sexuell ausgehungerte männliche Teenager, die bei jedem Headshot und einem Gratis-T-Shirt ausflippen.“

Auch Ubisofts achselzuckende “Einsparung“ weiblicher Spielfiguren begründet sich trotz diesbezüglicher Beteuerungen nur teilweise mit simplen Geldzwängen - die Erklärung ist vielmehr, dass Ubisoft eine Inklusion weiblicher Spieler schlicht für nicht wichtig genug hält. Das Zielpublikums, so meint man zu wissen, sind und bleiben eben weiße junge Männer - wirtschaftlicher ist es deshalb wohl “vernünftiger”, die Ressourcen in - zum Beispiel - 13 in Details unterschiedliche Special Editions zu stecken als in Fanservice für SpielerInnen. Auch wenn die diesbezüglichen Statistiken nicht nach Genres ordnen: Dass erwachsene Frauen inzwischen einen größeren Anteil an der globalen Spielerschaft ausmachen als junge Männer unter 18 Jahren, scheint noch nicht ganz durchgesickert zu sein. Natürlich hat man vor allem im Games-Mainstream auch mit der Henne-Ei-Problematik zu kämpfen: Weil angeblich wenige Frauen große AAA-Titel spielen, werden sie von diesen kaum direkt angesprochen – und können sich so auch mit dem subjektiv und objektiv als Jungskram gebrandeten Genres weniger anfreunden. Wie lautet doch das alte Vorurteil? “Frauen spielen nicht“ - und wenn, dann keine “richtigen“ Spiele.

Der Game-Designer, Kritiker und Autor Ian Bogost hat eine Erklärung dafür, warum diese Einschätzung sich so hartnäckig hält: “Wahrscheinlich ist es ein Problem der Wahrnehmung: Wir sehen uns nicht die vorhandene Diversität des Marktes an, sondern schauen nur dort, wo es eben (noch) keine gibt – und diese Spiele nehmen wir dann als die einzig gültigen Spiele wahr.“ Nur jene Titel, die nach wie vor für diese schwindende Gruppe an männlichen, weißen Jugendlichen vermarktet und produziert werden, seien demnach die einzigen “wirklichen“ Spiele. Was Frauen und andere, die nicht in dieses schmale Profil passen, so spielen, hat nicht zuletzt auf der “Games-Messe“ E3 keinen Platz: “Richtige Spiele“ sind seit jeher der Fokus der E3. Dass sich das Business durch Mobile Games, Free-to-Play und eine beispiellose Revolution im Independent-Games-Bereich rasant verändert, geht im programmierten Hypezirkus der ganz Großen der Branche fast spurlos unter. Der “Core Gamer“ als ewige Zielgruppe - ein Zirkelschluss, der vom Mainstream trotz enorm verbreiterter Reichweite des Mediums weiter mitgetragen wird.

Angry White Dudes

Natürlich führt diese Einengung zunehmend zu einer Verarmung in Inhalt und Form – auf der E3 sieht man das sogar schon von weitem: “Zwischen Batman, Assassin's Creed, The Witcher und Call of Duty – die gesamte Außenfassade der E3 besteht nur aus zornigen weißen Typen“, twitterte Kotaku-Journalist Jason Schreier aus Los Angeles. Da passt es auch ins Bild, dass es auf der E3-Bühne mehr abgeschlagene Schädel zu sehen gab als weibliche Präsentatoren – und dass sich der absolute Großteil der Videospielhelden exakt eines mehr oder weniger unterschiedlich ausgestalteten männlichen Heldenarchetyps bedient. Um in der jüngeren Games-Geschichte zu bleiben: Von Booker DeWitt aus “Bioshock Infinite“ über Joel aus “The Last of Us“ bis hin zu “Watch Dogs“-Held Aidan Pearce verarbeitet eine schier endlose Reihe von Spielehelden den Verlust ihrer Frauen durch methodisch gewaltsame Racheakte – es sind die “Frauen im Kühlschrank“, die jahrein, jahraus als Motivation für das – männliche – Publikum und seine stoppelbärtigen Helden herhalten müssen.

Doch auch die wenigen weiblichen Spielehelden entkommen dem männlichen Blick der Branche und der – angenommenen – männlichen Spielerschaft kaum. Lara Croft, starkes Poster-Girl der 90er-Jahre, durfte im “Tomb Raider“-Reboot von 2013 schließlich nur durch beispiellose Traumatisierung und – siehe oben – Gewalterfahrung vom unschuldigen Mädchen zur heroischen Powerfrau mutieren. “Wenn man eine Frau zur Heldin machen will, muss man ihr zuerst wehtun. Wenn man einen Mann zum Helden machen will – muss man auch zuerst einer Frau wehtun”, wie Games-Kritikerin Leigh Alexander hellsichtig in ihrem Text “Our Women Heroes Problem“ feststellt.

Es ist eine bis zur Ermüdung wiederholte Binsenweisheit, dass das Medium Videospiele “in die Mitte der Gesellschaft“ rückt – und angesichts großer Messen wie der E3 ist der Befund noch fragwürdiger, wenn man bedenkt, dass diese Gesellschaft immerhin zur Hälfte aus Frauen besteht. Betrachtet man die nach wie vor vorherrschenden Stereotype, die blauäugige Benachteiligung von Spielerinnen, weil es “zu viel Aufwand“ ist, sie anzusprechen, und die verlässlich rabiate Abwehrhaltung mancher Teile der männlichen Spielerschaft, wenn “ihr“ Revier derart in Frage gestellt wird, möchte man resigniert aufseufzen. Oder aber doch auf eine Normalisierung hoffen: Lange wird es sich auch der Mainstream der Branche nicht mehr leisten können, auf weibliche Kunden zu verzichten.

Vielleicht wird es dann irgendwann nicht nur für weibliche Spielfiguren, sondern auch für differenziertere Charaktere - männliche und weibliche - genug Ressourcen geben. Das Publikum wäre bereit. (Rainer Sigl, derStandard.at, 14.6.2014