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Im Schatten des Preisschirms könnten auch Unternehmen außerhalb eines Kartells Preise erhöhen.

Foto: REUTERS/Darren Staples

Wien - Als bahnbrechendes Urteil im Kampf gegen Kartelle wird von vielen Experten die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum sogenannten Umbrella-Pricing gesehen (EuGH, C-557/12 vom 5. 6. 2014). Dabei ging es - wie berichtet - um eine Klage der ÖBB-Infrastruktur AG gegen die vier großen Aufzug- und Rolltreppenhersteller, die bereits 2007 als Mitglieder des Liftkartells von der EU-Kommission zu fast einer Milliarde Euro Geldbuße verurteilt worden sind.

Die ÖBB hatte nun auch auf Schadenersatz für Liftanlagen geklagt, die sie nicht von den Kartellanten erworben hatte - mit dem Argument, dass auch andere Anbieter im Windschatten des Kartells ihre Preise erhöhen konnten.

In den USA längst Praxis

Dem hat der EuGH im Prinzip stattgegeben, nachdem der OGH die Forderung zunächst wegen des fehlenden Kausalzusammenhangs zurückgewiesen hatte, aber die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegte. Kartellklagen wegen Umbrella-Pricings (Preisschirmeffekts) sind in den USA bereits seit 20 Jahren juristische Praxis, nun ist das Prinzip auch in Europa etabliert. Über die Ansprüche der ÖBB müssen nun wieder österreichische Gerichte entscheiden.

Nach Ansicht des Wiener Kartellrechtsexperten Raoul Hoffer von Binder Grösswang folgt die Entscheidung der bisherigen EuGH-Judikatur, wonach kein Vertragsverhältnis vorliegen muss, damit Schadenersatzansprüche entstehen können. Dies hat auch schon die Generalanwältin Juliane Kokott in ihren Schlussanträgen so gesehen.

Hoffer: "Der EuGH setzt seine Jedermann-Rechtsprechung konsequent fort, indem er feststellt, dass die Wirksamkeit des EU-Wettbewerbsrechts beeinträchtigt wäre, wenn nicht jedermann Ersatz für jenen Schaden verlangen könnte, der infolge einer Verletzung des Wettbewerbsrechts entstanden ist."

Ein solcher Anspruch, so Hoffer, dürfe nicht kategorisch und unabhängig von den speziellen Umständen des konkreten Falls ausgeschlossen werden, wie es der OGH in seiner gegensätzlichen Entscheidung getan hatte.

Erhöht Kartell Marktpreise?

Dieser hatte darauf verwiesen, dass ein Anbieter, der nicht Kartellmitglied ist, bei seiner Preisgestaltung frei ist, ein Kartell daher keine direkte Ursache für überhöhte Preise außerhalb seines Einflussbereichs sein kann. Für den EuGH aber ist die entscheidende Frage, ob das Kartell die Marktpreise erhöht. Ist dies der Fall, dann ist es anzunehmen, dass sich auch Drittunternehmen an diesem Marktpreis orientieren und im Zuge eines Umbrella-Pricings teurer anbieten. Hoffer: "Die Entscheidung des EuGH stärkt die Position von Kartellgeschädigten sehr deutlich."

Laut dem Urteil müssen die nationalen Gerichte allerdings im konkreten Fall prüfen, ob ein Umbrella-Effekt auf dem betroffenen Markt tatsächlich eingetreten ist "und diese Umstände und Besonderheiten den Kartellbeteiligten nicht verborgen bleiben konnten". Wer die Beweislast trägt, ist nicht abschließend geklärt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Geschädigten einen solchen Preisschirmeffekt zumindest behaupten müssen.

Nicht vorhersehbar

An diesem Punkt haken andere Anwälte ein, die in der EuGH-Entscheidung keinen so klaren Sieg für die Kartellopfer sehen. Laut Axel Reidlinger von der Sozietät Freshfields gibt es gerade bei einzeln ausgeschriebenen Anlagen wie Aufzügen keinen eindeutigen Marktpreis. Deshalb sei es in einer solchen Branche für Kartellanten weder vorherseh- noch erkennbar, dass durch ihr Handeln andere Anbieter in Ausschreibungen ebenfalls ihre Preise anheben würden. Den Preisschirmeffekt im konkreten Fall zu beweisen "wird noch ein steiniger Weg für die ÖBB werden".

Hoffer sieht im Urteil eine Lockerung der allgemeinen Voraussetzungen, die für Schadenersatzansprüche bei Kartellrechtsverstößen, den sogenannten Private Enforcements, erfüllt werden müssen. Die Streitigkeiten wandern nun von der rein rechtlichen Ebene auf die Ebene der ökonomischen Nachweisbarkeit von Preiseffekten. "Erfreulich ist, dass der EuGH hier den Gerichten weiteren Spielraum im Rahmen des Beweisverfahrens lässt und Ansprüche nicht bereits auf rechtlicher Ebene ausgeschlossen werden", sagt Hoffer. "Ökonomische Gutachten werden daher auch im Rahmen des Private Enforcements an Bedeutung gewinnen." (Eric Frey, DER STANDARD, 16.6.2014)